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Blutige Seilfahrt im Warndt

Blutige Seilfahrt im Warndt

Titel: Blutige Seilfahrt im Warndt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Schwab
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er den Platz, den er damals immer schon für seinen Wagen ausgewählt hatte.
    Der Gedanke, diesen Einsatz für Jürgen Schnur und sein Team durchzuführen, motivierte ihn. Er hatte sich einen bösen Lapsus geleistet, als er Schnur seine Vergangenheit als Bergmann verschwiegen hatte. Deshalb war er jetzt dazu bereit, diesen Fehler wiedergutzumachen. Er packte sein Kleidernetz, in dem sich seine Arbeitskleidung befand, stieg aus und ging in Richtung Torhaus.
    Der kastenförmige Förderturm, umgeben von einer aufwändigen Stahl-Beton-Konstruktion, stach ihm schon von weitem ins Auge. Grewe passierte das Pförtnerhaus mit einem »Glückauf«. Er ging durch die Mannschaftskauen an den Getränkeautomaten vorbei zu den Büros der bergmännischen Steiger, die sich direkt neben dem Zechensaal befanden.
    Dort empfing ihn Georg Remmark.
    Grewe erschrak, als er den ehemaligen Kameraden wiedersah. Remmark sah alt und blass aus. Das war wohl der Preis dieser harten Arbeit.
    »Wusste ich doch, dass ich deinen Namen kenne«, meinte er mit rauer Stimme. »Wo warst du die letzten zwanzig Jahre?«
    »Aufm Pütt«, antwortete Grewe.
    »Aufm Pütt?«, wiederholte Remmark erstaunt. »Und kommst ins Saarland, wo am 30. Juni 2012 der ganze Bergbau stillgelegt wird?«
    Das war die Frage, die alle Beamten bei ihrer Planung für diesen Einsatz befürchtet hatten. Er riss sich zusammen und erzählte seine Geschichte von der Scheidung, und dass er deshalb den Pütt verlassen musste.
    »Wegen einer Scheidung muss man doch nicht gleich seine ganze Existenz aufgeben«, lautete Remmarks erstaunter Kommentar dazu.
    »Naja. Meine Frau war die Tochter des Betriebsinspektors. Mir wurde nahegelegt, zu verschwinden.«
    »Dumm gelaufen.« Remmark schlug Grewe so fest auf die Schulter, dass der schon befürchten musste, sie sei gebrochen. »Wenn ich mich richtig erinnere, bist du der Tony , gell?«
    Es fiel Grewe schwer, auf diese Frage mit einem »Ja« zu antworten. Wie hatte er diesen Spitznamen immer gehasst!
    Doch Remmark bemerkte nicht, was in ihm vorging. Mit lauter Stimme meinte er: »Also Tony, du kennst dich ja aus. Geh zum Badewärter und lass dir eine Rolle zuteilen.«
    »Alles klar.«
    Grewe staunte nicht schlecht, als er sah, wie ihm der Badewärter dieselbe Nummer aushändigte wie damals – vor zwanzig Jahren. Es war die 533. Sein erster Weg führte ihn zum Weiß-Bad. Sofort spürte Grewe das Unwohlsein, wie er es schon vor Jahren täglich empfunden hatte, als der Bergbau noch sein Lebensinhalt war. Nichts hatte etwas daran geändert – weder die Regelmäßigkeit dieser Handlung noch die Selbstverständlichkeit, mit der die Männer mit ihrer Nacktheit umgingen. Er zog den gerade erst überreichten Schlüssel heraus, öffnete den Riegel und ließ an der langen Kette den Kleiderkorb von der Decke herunter. Dann zog er sich aus, verstaute alles einschließlich Handtuch und Seife, die ihm der Badewärter gegeben hatte, in diesem Korb und zog den Korb wieder nach oben, bevor er diese Konstruktion verriegelte. Mit Badelatschen an den Füßen und Kleidernetz in der Hand ging er durch die Mannschaftsduschen ins direkt anschließende Schwarzbad. Dort hingen die Körbe mit der Arbeitskleidung an der Decke. Den Namen hatte sich diese Duschanlage durch die Kohlenschwärze verdient, die dort überall ihre Spuren hinterlassen hatte. Der Kohlenstaub ging durch die Kleider hindurch und verschmutzte die Bergmänner bis auf die Haut, weshalb sie einen Arbeitstag unmöglich ohne Dusche beenden konnten.
    Grewe ließ seine Rolle runter. Ein vom Vorbesitzer der Rolle vergessener Lokschlüssel baumelte an einem Schießdraht unter der Rolle.
    Wie die anderen Männer zog er sich in diesem Bereich an und folgte den Kameraden in den Zechensaal. Überall bildeten sich Grüppchen, bis das laute Läuten einer Gebetsglocke das Anfahrtsgebet ankündigte. Alle Männer verstummten und nahmen kurz den Helm vom Kopf. Danach wurde es scheinbar doppelt so laut wie vorher.
    Rund um Remmark stand seine Partie. Remmark stellte ihnen Anton Grewe als Nachfolger des verstorbenen Kameraden vor.
    Ein lautes »Glückauf« erschallte. Dann traten zwei Männer aus der Menge. Hans Rach, der kleine, gemütliche Grubensteiger, drückte Grewe die Hand und sagte: »Glückauf zurück in unserer Mitte. Schön, dass das Saarland dich wieder hat.«
    Grewe war bei dieser Begrüßung gerührt. Er konnte dem Mann nicht fest in die Augen schauen.
    Ein weiterer Kamerad schälte sich aus der Menge und

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