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Blutige Spuren

Blutige Spuren

Titel: Blutige Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Liemann
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– Sie haben sich selbst ein Bild gemacht … Die Witwe, das wollte ich Ihnen sagen, befindet sich noch im Urlaub und wird nicht verhört. «
    » Die Witwe wird nicht verhört? «
    » Die Witwe wird nicht verhört. Das BKA hält es nicht für notwendig. «
    » Weil das BKA an einen Terroranschlag glaubt « , erläuterte Sternenberg. » Die gehen davon aus, dass ihn nicht die eigene Gattin ausgeweidet hat und dass sie keiner terroristischen Zelle angehört. «
    Sie nickte und wirkte weiter ungeduldig.
    Sternenberg fragte: » Und wir? Sollten nicht wenigstens wir die Frau aufspüren und befragen? «
    Sie lehnte sich an die Glasplatte – sehr vertrauensselig, wie Sternenberg fand. Wahrscheinlich hatte sie sich schon oft dagegen gelehnt. » Sie jedenfalls nicht, Herr Kollege! «
    Er war überrascht, dass er ihrem Blick auswich.
    Sie wandte ihren Blick nicht ab. » Abgesehen davon, dass wir gegenwärtig nicht zuständig sind, geht es mir um eine andere wesentliche Sache. Hatten Sie heute Morgen schon einen Kaffee? Wahrscheinlich haben Sie bei Ihrem Nachtdienst für die Telefonseelsorge schon zu viel davon gehabt, oder? «
    Er fand, dass das » für « etwas Vorwurfsvolles hatte. Und er fand, dass sie sich gerade an Kleinigkeiten festhielt. Offenbar brauchte sie den Anlauf, um dieses Wichtige mit ihm zu besprechen.
    » Wir beide wissen « , hob sie nun an, » dass der Vizepräsident tot ist. Jemand muss die Geschäfte übernehmen. Entschieden ist noch nichts. Auch deshalb, weil man nicht verbreiten will, was wir wirklich über Herrn von Haberstein wissen. Gleichwohl muss selbstverständlich jemand intern die Vertretung übernehmen. «
    » Und die Nachfolge « , ergänzte Sternenberg.
    » Das habe ich nicht vor « , widersprach sie. » Das Amt wird politisch besetzt. Und politisch wiederbesetzt. Will keiner wahrhaben, ist aber so. Nein, es geht um das Führen der Geschäfte. Erst im Verborgenen, dann offiziell. Sie wissen, wie langlebig derartige inoffizielle Regelungen sein können. «
    Jetzt nickte er. Er beäugte die kleine Frau mit den kurzen Haaren und zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie die Berliner Polizei mit all ihren Wellengängen, Unterströmungen und Strudeln im Griff hätte. Ob sie gleichfalls einen glücklichen Stand in der Presse hätte, wusste er nicht. Dazu kannte er ihren Stand in den politjournalistischen Kreisen nicht.
    » Herr Sternenberg, worauf ich hinauswill: Was ich brauche in dieser Zeit, ist jemand, der mich von den rein administrativen Aufgaben entlastet. Man muss den Kopf frei haben für Taktisches und Strategisches, für Entscheidungen. Da braucht es im Polizeipräsidium einen erfahrenen Polizisten, der die Fäden zusammenhält, der die Organisation in- und auswendig kennt, der sich von keiner Seite übertölpeln lässt und der souverän genug ist, die Führung dieser Angelegenheiten so geräuschlos abzuwickeln, als gäbe es ihn überhaupt nicht. «
    Sie machte eine Pause.
    Er ließ sich Zeit, bevor er nickte, nicht sicher darüber, ob er ihre Gedanken richtig nachvollzogen hätte. Seine eigene Karriere zog in Blitzgeschwindigkeit an ihm vorüber: Er leitete einen größeren Sachbereich, es war in Berlin vielleicht die wichtigste Einheit für Schwere Gewaltdelikte. Die Aufklärungsrate konnte sich sehen lassen, und seit Jahren war ihnen kein wesentlicher Fehler unterlaufen, jedenfalls keiner, der einem in der Öffentlichkeit das Genick brechen konnte. Administrative Tätigkeiten – das hörte sich nicht schlecht an. In den Vereinigten Staaten ist mit » Administration « das Weiße Haus gemeint. In Deutschland ist es dagegen nichts als Verwaltung. Bürokratie, Amtsstube, Formulare, Abrechnung des Trennungsgeldes.
    Eines war gewiss: Wer in der Administration arbeitete, kam nicht mehr zur praktischen Fallarbeit. Der Abschied vom Beruf des Polizisten. Wollte er das? Wann immer er über den Beruf geflucht hatte, war ihm doch klar geworden, dass er Freiheiten hatte. Er konnte, jedenfalls im Nachhinein, Dinge beeinflussen, eine Art organisierter, staatlich sanktionierter Rache ausüben, Sühne verwalten. Einer der wenigen Berufe mit Affinität zur Wahrheit. Ein Verbrechen aufzuklären hieß, sich auf die Suche nach den wahren Tathergängen zu machen, Wirklichkeit zu rekonstruieren. Und die Dinge wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. In welcher anderen Position hatte man die Gelegenheit, Sümpfe trockenzulegen oder zumindest einzelne, übel gesinnte Querköpfe zur Verantwortung zu

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