Blutige Stille. Thriller
amischen Farmhaus erscheinen in roter, gotischer Schrift, die mich an einen Horrorfilm im Rahmen eines Schulprojekts erinnert. Das Bild wird unscharf, und kurz darauf ist Amos Plank in schwarzweiß zu sehen, er liegt auf dem Boden in einer glänzend schwarzen Blutlache, der Mund ist offen, die Augen sind starr … Die Kamera schwenkt zurück zur Küche, doch der kurze Moment hat gereicht, dass mir übel wird.
In der Küche passiert nichts, keine Bewegung, keine Menschen. Da wird mir klar, dass dieses Video wahrscheinlich aus unbearbeiteten Clips besteht, die herausgeschnitten oder nicht verwendet wurden – und angesichts des Titels frage ich mich, ob ich gerade Ausschnitte eines Snuff-Films gesehen habe …
Ich starre weiter auf den Bildschirm und suche nach Hinweisen. Laut Doc Coblentz sind die Planks zwischen zweiundzwanzig Uhr und Mitternacht gestorben, es muss also dunkel gewesen sein. Ich blicke zur Hintertür, doch das Licht im Raum spiegelt sich im dunklen Fenster wider. Ich drücke ein paar Tasten und hole das Türfenster näher heran. Einhundertzehn Prozent, einhundertfünfundzwanzig. Es ist dunkel draußen. Nacht.
Da erkenne ich hinter der Glasscheibe ein helles Oval. Zuerst halte ich es für die Spiegelung der Person hinter der Kamera. Dann hole ich es mit Zoom heran, vergrößere es auf einhundertfünfzig Prozent. Die Auflösung ist grobkörnig, doch ich bin fast sicher, dass jemand
draußen
vor der Tür steht und hineinsieht, ich erkenne die dunklen Punkte der Augen, die Linie des Mundes.
»Wer bist du?«, flüstere ich.
Ich drücke die Lautsprechertaste des Telefons und wähle Tomasettis Handynummer. Er antwortet nach dem ersten Klingeln.
»Kennst du jemanden beim BCI , der die Qualität eines Videos verbessern kann?«, frage ich ohne lange Vorrede.
»Ich bin noch unterwegs. Worum geht’s?«
Ich erzähle ihm von dem Gesicht im Fenster. »Wenn ich zoome, wird die Auflösung so schlecht, dass ich es nicht klar erkennen kann.«
Er stößt einen Seufzer aus. »Ich bin in zirka fünfundzwanzig Minuten im Labor.« Er nennt mir eine E-Mail-Adresse. »Der Techniker ist ein Freund von mir. Schick die Datei als Anhang. Ich fahr hin und sehe sie mir mit ihm an.«
Eine peinliche Stille tritt ein, und ich weiß, dass wir beide an letzte Nacht denken. Die ziemlich kurz war, mit wenig Schlaf. Tomasetti spricht die erlösenden Worte, die uns wieder auf sicheren Boden zurückholen: »Du glaubst also noch immer, dass er einen Komplizen hatte?«
»Ich weiß es nicht.«
»Das würde vieles ändern.«
»Und es würde bedeuten, dass in meiner Stadt immer noch ein Mörder frei rumläuft.«
Die Verbindung fängt an zu knistern. »Ich rufe dich an, sobald wir das Video angesehen haben.«
»Ich warte.«
Es sollen zwei der längsten Stunden meines Lebens werden. Als mein Telefon endlich klingelt, habe ich fast alle CD s angesehen. Doch im Display ist Lois’ Nummer, nicht Tomasettis. Leise murrend drücke ich die Lautsprechertaste.
»Chief. Aaron Plank ist hier und will Sie sprechen.«
Ihn hätte ich nun wirklich nicht erwartet und bin entsprechend verblüfft. »Schicken Sie ihn rein.«
Einen Moment später betritt Aaron mein Büro, in Cordblazer, Khakihose und schönen Schuhen. Er sieht mich traurig und wissend an. »Ich habe von Todd Long gehört«, sagt er.
Neugierig, warum er gekommen ist, zeige ich auf den Stuhl neben dem Schreibtisch. »Nehmen Sie Platz.«
Er setzt sich, wischt mit den Händen über die Hose. »Ich fahre heute zurück nach Philadelphia und wollte vorher noch mit Ihnen sprechen. Um mich zu entschuldigen.«
»Allzu leicht scheint Ihnen das nicht zu fallen.« Doch ich schenke ihm ein Lächeln.
»Es ist hart«, sagt er.
»Das war es für uns alle.«
Er ist unruhig, sieht überall hin, nur nicht zu mir, und wischt sich wieder die Hände an der Hose trocken.
Schließlich treffen sich unsere Blicke. »Ich wollte nur, dass Sie wissen … dass ich sie wirklich geliebt habe. Trotz allem, was sie über mich dachten, habe ich sie geliebt. Alle. Aber Mary … sie war etwas Besonderes.«
Ich habe einen Knoten im Hals, schlucke, zwinge ihn runter. Ich weiß weder, was ich sagen, noch was ich fühlen soll.
Aaron steht auf. Trotz seiner Jugend wirkt er heute Morgen wie ein alter Mann. Es zeigt sich in seinen Augen, in seinen Bewegungen. Die Reise nach Painters Mill hat ihn auf eine Weise altern lassen, die nichts mit dem normalen Prozess des Älterwerdens zu tun hat.
Er geht zur Tür,
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