Blutige Stille. Thriller
sowieso kaum eine Wahl lassen. Sonst kommen nämlich die Touristen nicht mehr hierher, sondern fahren nach Lancaster County.«
»Tja, so ist nun mal Kleinstadtpolitik.« Er zuckt die Schultern. »Wenn sich was ändert, kannst du den Fall jederzeit neu aufrollen.«
Er hat recht, doch ich sage nichts. Ich werde den Fall schließen, jedenfalls offiziell. Aber ich suche weiter. Und wenn ich herausfinde, dass noch jemand dabei war, wird er seine Strafe bekommen. Auch wenn ich allein dafür sorgen muss.
Ich sehe Tomasetti an, dass er mit einer Frage kämpft, und mir wird ganz flau im Magen. »Kann ich dich nach Hause fahren?«, traut er sich schließlich.
»Ich denk darüber nach.«
»Du hast mir gefehlt.«
Zum ersten Mal denke ich jetzt an den Mann mir gegenüber und nicht an den Fall oder mein Leid. Ich weiß nicht, ob es am Alkohol liegt oder weil wir seit zwei Monaten nicht mehr zusammen waren, aber ich will die Nacht mit ihm verbringen. Und ich will alles andere eine Zeitlang vergessen.
»Du mir auch.« Ich strecke die Hand aus und berühre ihn. »Wir kriegen das schon hin.«
»Wenn das so ist«, sagt er, »dann nichts wie weg hier.«
22 . KAPITEL
Als ich aufwache, ist John Tomasetti schon gegangen. Dass ich es nicht mitbekommen habe, überrascht mich, denn ich habe einen leichten Schlaf. Aber ich hatte in den Nächten zuvor kaum geschlafen und war erschöpft. Oder ich schlafe einfach besser, wenn er neben mir liegt. Doch diese Vorstellung finde ich eher beunruhigend.
Er verabschiedet sich nie, wenn wir die Nacht zusammen verbracht haben. Die ersten Male hat mich das geärgert, doch dann ist mir klargeworden, dass er geht, weil wir beide nicht gut mit dem »Morgen danach« umgehen können. Wir sind übervorsichtig und wollen nicht zu viel von uns preisgeben, die Karten nicht zu offen auf den Tisch legen. Unsere dunklen Seiten soll der Geliebte nicht unbedingt sehen.
Doch er lässt immer etwas von sich zurück. Ich spüre noch seine Gegenwart im Bett, im Haus, an Körper und Seele. Das Echo seiner Stimme, das seltene Lachen, den flüchtigen Duft seines Aftershaves. Seine weichen Lippen, die dringliche Berührung eines einsamen Mannes. Manchmal trage ich unser Beisammensein noch tagelang mit mir herum, was mir anfangs nicht behagt hat, doch inzwischen gefällt es mir. Und schon frage ich mich, wann wir uns wiedersehen.
Es ist gerade mal sechs Uhr, doch ich dusche schnell und kleide mich an. Erst auf dem Weg zum Revier denke ich wieder an die Planks, doch nicht mehr so verbissen. Ein Schritt in die richtige Richtung.
Als ich ankomme, steht Monas Escort auf seinem üblichen Platz, Skids Streifenwagen daneben. Er schreibt wahrscheinlich noch schnell seinen Bericht und beendet dann die Schicht. In ungefähr einer Stunde kommt Glock, entweder mit Bagels oder Donuts von der Butterhorn-Bäckerei, und Mona wird sich wieder wegen der Kalorien beschweren. Lois, T.J. und Pickles werden eintreffen, und ein weiterer typischer Tag wird seinen Lauf nehmen.
Wir werden über die Morde reden und uns mit der Presse rumschlagen. Ich rufe Auggie an und schließe den Fall offiziell ab. Meine Mitarbeiter und ich werden wieder als Schiedsrichter bei häuslichen Streitigkeiten und Kneipenschlägereien fungieren und Rindviecher einfangen, die ein Loch im Weidezaun gefunden haben. Im Allgemeinen weiß ich diese Normalität – die Routine meines Jobs – zu schätzen. Doch heute Morgen habe ich das Gefühl, etwas Stinkendes unter den Teppich gekehrt zu haben.
Mona sitzt in der Telefonzentrale und klopft mit den Fingern den Takt zu einem Gin-Blossoms-Song, der etwas zu laut dröhnt. »Hallo Chief. Sie sind früh dran heute Morgen.«
»Konnte nicht schlafen.« Ich gehe zu ihr, beuge mich vor und drehe das Radio leiser. »Irgendwelche Nachrichten?«
»Alles Presseanfragen, von gestern Nachmittag. Die wollten Näheres über die Long-Sache wissen.« Sie reicht mir ein halbes Dutzend Telefonnachrichten. »Sorry wegen dem Radio. Mir war nicht klar, dass es schon so spät ist … ich meine früh.« Sie grinst. »Die Nachtschicht ist wie im Flug vergangen.«
Da es nur Anrufe von Presseleuten sind, gebe ich ihr die Zettel zurück. »Sagen Sie denen, heute Vormittag gibt’s eine Pressemitteilung.«
»Mach ich.«
Ich gehe zur Kaffeetheke, schenke mir eine Tasse Kaffee ein und begebe mich damit in mein Büro. Während der Computer hochfährt, hole ich mir den Plastikbehälter mit dem Beweismaterial aus Longs Wohnung und stelle ihn auf
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