Blutige Stille. Thriller
wie Sam hat.«
Er nickt, doch seine Verunsicherung ist fast greifbar.
Deborah schlägt den FBI -Katalog auf. Von meinem Stuhl aus sehe ich viele Reihen Verbrecherfotos. »Ich dachte, wir fangen mit den einfachen Sachen an, wie der Form von seinem Gesicht. War es rund? Oder kantig? Oder vielleicht oval?«
Billy wirkt konfus. »Ich hab noch nie wen mit kantigem Gesicht gesehen.«
Kichernd schiebt sie Billy das Buch über den Tisch. Mit der Faszination des Kindes sieht er sich die schwarzweiß skizzierten Gesichtsformen an – rechteckig, oval, rund.
»Welche davon passt am besten zu dem Mann, den du durchs Fenster gesehen hast?«, fragt Deborah.
»Aber er hatte Haare und Augen!«
»Die kommen danach hinzu«, erklärt die Polizeizeichnerin geduldig. »Zuerst müssen wir die Form seines Gesichts herausfinden. Kannst du eins davon aussuchen?«
Billy blickt konzentriert auf die Zeichnungen und zeigt dann mit dem Finger auf eines der Bilder. Seine Nägel sind abgekaut und schmutzig. »Wie das, aber er hatte Augen. Und eine Nase und einen Mund auch.«
»Okay, dann kommen jetzt die Augen.«
Die ganze Prozedur schleppt sich qualvoll langsam dahin. Deborah ist von unendlicher Geduld. Hin und wieder übersetzen Alma und William einen Begriff für Billy. Manchmal spricht er von Früchten und Gemüse, wenn er eine Farbe benennen will, zum Beispiel »wie ein Pfirsich« oder »wie Mais kurz vor der Ernte«. Haar ist »wie ein Hund«, rund ist wie »ein Ball«.
Vier Stunden und drei Tassen Kaffee später bezweifle ich, dass trotz Deborahs Talent irgendeine Skizze dabei herauskommen wird, denn Billy ist sich bei zu vielen Details unsicher und ändert ständig seine Meinung. Die meiste Zeit ist Deborah damit beschäftigt, die Skizze abzuändern.
Kurz nach neun packt sie schließlich ihre Utensilien zusammen. Ich danke den Zooks für ihre Zeit und Hilfe und gebe Billy einen Fünfdollarschein. Als ich in den Explorer steige, bin ich total niedergeschlagen.
»Tut mir leid, dass ich Ihnen kein brauchbares Bild liefern kann«, sagt Deborah. »Die Menschen sehen Dinge unterschiedlich. Billy ist kein visueller Typ, aber er hat sein Bestes gegeben.«
»Es war den Versuch wert.« Doch ich bin wieder da, wo ich angefangen habe. »Sie sind bestimmt erschöpft. Soll ich Sie in ein Motel bringen?«
»Vielen Dank, aber ich fahre noch nach Hause.« Sie grinst. »Mein Mann erwartet mich.«
Ich bringe sie zum Revier, wo ihr Auto steht. Normalerweise würde ich noch reingehen und ein bisschen mit Jodie plaudern, doch meine Stimmung ist am Nullpunkt angelangt. Ich will nur noch nach Hause, mit einer Flasche Wodka ins Bett und die Decke über den Kopf ziehen. Was natürlich nicht geht.
Ich kann nicht sagen, ob es mein Pflichtgefühl ist, mein Mitgefühl für Mary Plank oder mein Verlangen nach Gerechtigkeit wegen dem, was mir als Vierzehnjähriger passiert ist. Aber ich kann nicht – will nicht – akzeptieren, dass jemand, der an diesem Verbrechen beteiligt war, ungestraft davonkommt. Die Vorstellung schmerzt so sehr, als würde der Zahnarzt einen freiliegenden Nerv anbohren.
Auf dem Nachhauseweg denke ich über den traurigen Restbestand an Verdächtigen nach. Mit Longs posthumem Geständnis bleiben mir nur noch James Payne, Aaron Plank und Scott Barbereaux. Von den dreien wäre mir Payne am liebsten. Er hatte ein Motiv, die Mittel und die Gelegenheit dazu – die drei Säulen der Polizeiarbeit. Und nicht zu vergessen sein von Hass zerfressenes Herz. Alles zusammen garantiert ihm den obersten Platz auf der Liste.
Ich denke über Aaron Plank nach, betrachte ihn aus allen möglichen Blickwinkeln und kann ihn doch nicht ernsthaft in Betracht ziehen, besonders wegen der Grausamkeit an den beiden Mädchen.
Bliebe noch Barbereaux. Er hat ein Alibi, was ihn aber nicht zwangsläufig als Verdächtigen eliminiert, zumal ich es noch verifizieren muss. Nach einem Blick auf die Uhr beschließe ich, das noch heute Abend zu erledigen, und biege nicht nach links in meine Straße ein, sondern mache eine Kehrtwendung und fahre Richtung Osten.
Wenn man sich in Painters Mill niederlassen will und Geld keine Rolle spielt, kauft man sich ein Haus in der Maple-Crest-Siedlung, die Crème de la Crème aller Adressen hier. Die Grundstücke und Häuser sind groß, mit üppigen, gepflegten Gärten. Ein beleuchteter Wasserfall, der über eine Mauer mit den eingemeißelten Worten
Maple Crest
plätschert, begrüßt mich, als ich in die gut geteerte
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