Blutige Stille. Thriller
Sie?«
»Farnhall.«
Farnhall ist eine Fabrik in Millersburg, die Ölfilter herstellt. »Was machen Sie da?«
»Ich steh am Fließband.« Das Stöhnen, das er verlauten lässt, erinnert mich an einen gelangweilten Teenager. »Worum geht’s hier eigentlich?«
»Kennen Sie die Familie Plank?«
»Nee, bestimmt nicht.«
»Wo war Ihr Bruder letzte Nacht?«
»Keine Ahnung.«
Jetzt stöhne ich. »Derek, machen Sie schon, kooperieren Sie.«
»Also ich bin doch nicht sein verdammtes Kindermädchen.«
»War er zu Hause?«
»Sicher.«
»Wann?«
Er hebt seine gewaltige Schulter, lässt sie wieder sinken. »Acht, neun Uhr.«
»Was nun?«
»Keine Ahnung.«
Pickles murmelt etwas, das wie
Penner
klingt.
Krause sieht ihn über meinen Kopf hinweg an und knurrt: »Wenigstens bin ich nicht halb so senil wie Sie, alter Mann.«
»Das reicht«, fahre ich ihn an. »Warum sind Sie nicht am Arbeitsplatz?«
»Ich bin krank, Mann, hab Bauchschmerzen.«
»Sie sehen nicht krank aus.«
Diesmal heben und senken sich beide Schultern. »Ich bin’s aber. Hab den ganzen Morgen Dünnschiss gehabt.«
Ich hebe die Hand, ausführlicher brauche ich es nicht. »Wo ist Ihr Bruder jetzt?«
Derek lässt den Blick schweifen. »Weiß nicht.«
»Er ist auf Bewährung draußen, oder?« Ich weiß das, will es aber von ihm hören.
Jetzt blickt er mich misstrauisch an. »Vermutlich.«
»Jetzt hören Sie mir mal zu. Ich kann Ihnen das Leben leichtmachen oder schwer, Ihre Entscheidung, aber es wäre besser für Sie beide, wenn Sie kooperieren. Also, wo ist er?«
»Wo schon, in der Bar. Da darf er eigentlich nicht hin, also drücken Sie ’n Auge zu, okay?«
»Wenn er nichts angestellt hat, gibt’s auch keine Probleme.«
»Ihr Bullen habt uns doch immer auf dem Kieker.« Kopfschüttelnd stemmt er die Hände in die Hüften. »Kann ich jetzt gehen?«
»Verlassen Sie nicht die Stadt.«
»Scheißbullen.« Er geht die Stufen hoch und verschwindet im Wohnmobil.
Ich sehe Pickles an. »Netter junger Mann.«
Pickles grinst. »Wenn Sie ihn gruselig finden, sollten Sie erst mal seine Mama sehen.«
»Riesenlady, was?«
»Ne, nur noch mehr Haare.«
***
In den meisten Kleinstädten existiert neben der heilen Welt mit Norman-Rockwell-Fassaden auch eine Gesellschaft im Dunkeln, und Painters Mill macht da keine Ausnahme. Während die meisten Menschen einer Arbeit nachgehen, ihre Rechnungen bezahlen und Kinder aufziehen, dröhnen sich diese Leute zu, verkaufen Drogen und führen zwangsläufig ein Leben in Schieflage. In Painters Mill ist die Brass Rail Bar das Herz dieses Sumpfes, weshalb sie als Nächstes auf meiner Liste steht. Bei unserer Ankunft bin ich überrascht, dass der Parkplatz bereits halb voll ist, aber dann fällt mir ein, dass die erste Schicht bei Farnhall ja um vier Uhr nachmittags endet. Jetzt ist es Viertel nach, und der Alkohol beginnt gerade zu fließen. Zungen lockern sich, Hemmungen fallen, Drogen werden geschnupft, geschluckt, injiziert, ge- und verkauft. Unser Timing ist also perfekt. Ich parke neben einem alten VW mit dem Aufkleber:
Wenn dir mein Fahrstil nicht gefällt, ruf 0–800- FRISS - SCHEISSE an
. In meinem Hinterkopf tickt pausenlos die Uhr und frisst immer mehr von den wichtigen ersten achtundvierzig Stunden. Die Zeit sitzt mir im Nacken. Obwohl die Planks schon seit vierzehn Stunden tot sind, habe ich immer noch nichts in der Hand.
»Ist Drew auch so bullig wie sein Bruder?«, frage ich Pickles beim Aussteigen.
»Nein, aber er ist ein niederträchtiger Mistkerl.«
»Klasse.«
»Immerhin riecht er besser.«
»Da bin ich aber froh.«
Ich stoße die Tür auf, und wir treten ein. Die Bar ist dunkel und feucht wie ein Kellerloch, und beim Blick zur Decke bin ich überrascht, dass dort keine Fledermäuse hängen. Zigarettenrauch füllt den Raum wie Nebel. Die Tanzfläche ist gut besucht, die Leute bewegen sich zu hämmernden Klängen von Rockmusik, die ich aber nicht kenne. Meine Augen haben sich kaum an die Dunkelheit gewöhnt, als Pickles mit dem Finger zur Bar zeigt. »Da hinten sitzt er ja.«
Pickles hat recht, er ist nicht so groß wie sein Bruder, vielleicht nur ein Meter achtzig, hundertsechzig Pfund. Er trägt ausgeblichene Jeans, ein blaues T-Shirt mit der Aufschrift:
Ich war’s nicht
und wirkt wie ein normaler Typ, der nach einem langen Tag die Happy Hour genießt. Aber ich weiß, dass das Aussehen sehr täuschen kann, ganz besonders in der Drogenwelt.
An die Theke gelehnt, als würde die Bar ihm
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