Blutige Stille. Thriller
Verbrechen immer um reale Menschen handelt. Und für die arbeite ich jetzt.
Zwei der Rollbahren stehen abseits der restlichen fünf. Der dunkle Fleck auf dem Tuch darüber sagt mir, dass diese beiden Autopsien schon abgeschlossen sind. »Mit welchen Opfern sind Sie fertig?«, frage ich.
Dr. Rohrbacher nimmt sein Klemmbrett zur Hand. »Bonnie Plank. Und Mary Plank.«
»Haben Sie Kugeln gefunden?«, frage ich.
Er nickt. »Eine in der Mutter. Zwar ziemlich beschädigt, ich hab sie aber trotzdem ins Labor geschickt.«
»Irgendwelche Schießpulverspuren am Vater?«
»Wir haben die Kleidung und Rückstände auf der Hautoberfläche ebenfalls ins Labor geschickt. In ein paar Tagen sollten wir mehr wissen.«
Doc Coblentz geht zu einem der beiden abseits stehenden Rollbahren und zieht das Tuch weg, unter dem Mary Planks Leiche zum Vorschein kommt. Sie liegt auf dem Rücken, ein Mädchen mit schlanken Gliedern, das einmal hübsch gewesen war. Jetzt ist ihr Gesicht grau. Mein Blick ruht kurz auf dem herunterhängenden Mund, der halb offen steht und eine Reihe gerader weißer Zähne offenbart. Ihre linke Hand hängt schlaff über den Rand der Bahre.
Ich zwinge mich, sie ganz anzusehen. In dem grellen Licht sieht der Y-Schnitt grausig aus, die dunklen Stiche der Naht gleichen Eisenbahnschwellen auf der bleichen Haut.
Ich trete näher an sie heran. »Todesursache?«
»Sie ist verblutet.« Doc Coblentz zeigt mit einem Watteträger auf die Wunde im Unterleib. »Ihr Uterus wurde entfernt.«
Entsetzen packt mich wie eine Riesenkralle. »Er hat ihn rausgeschnitten?«
»Gehackt trifft es besser. Die Ränder sind extrem unsauber. Sie hatte innere Blutungen, erlitt einen Schock und starb schließlich an Herzstillstand.«
»Warum hat er das gemacht?«
Der Doktor sieht mich über seine Brille hinweg an, und ich spüre, dass er mir gleich etwas Schreckliches sagen wird. »Bei der Untersuchung der Bauchhöhle haben wir festgestellt, dass das verbliebene Stück des Gebärmutterhalses bläulich verfärbt ist, was auf eine Schwangerschaft hinweist. Deshalb haben wir ein paar Bluttests durchgeführt. Das Mädchen war definitiv schwanger.«
Diese Eröffnung trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube – und zwar wie einer, der richtig gesessen hat. Mary Plank war fünfzehn Jahre alt, amisch und unverheiratet. Auch amische Teenager haben vorehelichen Sex, aber eher selten. Sie sind Menschen, sie machen Fehler, haben Geheimnisse. Und dieses Geheimnis muss zentnerschwer auf ihr gelastet haben.
Meine eigene Vergangenheit schießt mir ungebeten durch den Kopf, eine gewaltige Masse Geröll und Schlamm im Gepäck. Ich weiß, was es heißt, jung und amisch und anders zu sein, erinnere mich an die Ausgrenzung und Einsamkeit und das erdrückende Gewicht von Scham, das ein Geheimnis auf so junge Schultern packen kann. Mary war in den Wochen vor ihrem Tod einer enormen psychischen Belastung ausgesetzt, so viel ist sicher.
Einen Moment lang bin ich so erschüttert, dass ich kein Wort herausbringe und nur noch
armes, armes Kind
denken kann.
»Kate?«
Ich zucke unmerklich zusammen, zwinge mich, meine Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt zu richten. Mir fällt Bischof Troyer ein, der erzählt hatte, dass Bonnie Plank wegen Mary mit ihm sprechen wollte. Hatte Bonnie von der Schwangerschaft ihrer Tochter gewusst? Doch einen Freund hatte niemand erwähnt. Wer war der Vater des Kindes? Hatte Mary einen Liebhaber? Wurde sie vergewaltigt und hat es niemandem erzählt? Nicht einmal ihrer Familie oder dem Bischof?
»In welchem Monat war sie?«, frage ich.
»Ohne Fötus kann man das unmöglich sagen.«
»Wurde der Uterus gefunden?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Wieder sieht er mich über die Brille hinweg an. »Als wir das mit der Schwangerschaft wussten, haben wir Abstriche von Vagina und Gebärmutterhals gemacht und eine Vaginalspülung. Und auf die geringe Chance hin, dass sie vor kurzem Geschlechtsverkehr hatte, hat Jason ein Nativpräparat angelegt.«
»Was ist das?«, frage ich.
»Damit kann man sehen, ob lebende Spermien in der Vagina sind – und das war bei ihr der Fall.«
Jetzt haben wir DNA , denke ich sofort. »Dann wurde sie also vom Täter vergewaltigt, und er hat kein Kondom benutzt?«
»Das glaube ich nicht. Die meisten Spermien waren unbeweglich, das heißt, sie waren über achtundvierzig Stunden alt.«
Das überrascht mich. »Ich wusste nicht, dass Sperma so lange leben kann.«
»Bis zu zweiundsiebzig Stunden.«
Ich bin
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