Blutige Stille. Thriller
will, was er tun muss. Er wünscht, es gäbe Licht, kommt aber auch ohne zurecht. Ist er allein? Er geht von der Küche ins Wohnzimmer. Sein Herz schlägt jetzt schneller, sein Atem geht schwer, sein Adrenalin steigt. Ist er zum Stehlen hier? Oder zum Töten?
Langsam und geräuschlos steigt er die Treppe hinauf. Im ersten Schlafzimmer sind die Eltern. Er reißt sie aus dem Schlaf, die Waffe ist auf Mrs Plank gerichtet, um Amos in Schach zu halten. Dem Mann fesselt er zuerst die Hände, er ist die größte Bedrohung. Dann kommt Bonnie dran. Das Baby, der kleine Amos, schläft neben dem Bett in seiner Wiege. Weder Bonnie noch Amos verstehen, was der Mann von ihnen will. Sie wissen noch nicht, dass er sie gleich töten wird.
Wie hält er sie unter Kontrolle? Wann weckt und fesselt er die anderen Familienmitglieder? Bedroht er sie mit der Waffe? Hat er einen Komplizen? Viele Fragen, auf die ich keine Antwort habe.
Aus der dunklen Höhle seines Hirns heraus sehe ich, dass er ins nächste Zimmer geht, wo der zehnjährige David und der vierzehnjährige Mark schlafen. Er weckt sie auf. Die Jungen sind verwirrt und orientierungslos, als er ihre Hände auf dem Rücken zusammenbindet. Amische Kinder werden zu Respekt und Gehorsam gegenüber Erwachsenen erzogen. Sie hätten sich nicht gewehrt; sie hätten auf den Mörder gehört, weil er ein Erwachsener ist.
Im nächsten Zimmer schläft die sechzehn Jahre alte Annie. Wie die Jungen, ist auch sie eingeschüchtert und verstört. Er fesselt ihre Hände und geht weiter zum Ende des Flurs in Marys Zimmer, weckt sie auf. Er denkt jetzt an andere Dinge. Die Mädchen. Jung, hübsch und unschuldig. Erregt ihn ihre Angst? Betrachtet er sie als Objekte? Ist er ihretwegen hier?
Er treibt sie alle die Treppe hinunter. Trägt er das Baby selbst auf dem Arm? Nein. Das Kind ist bloß ein Störfaktor für ihn. Lässt er es allein in der Wiege zurück? Nein. Bonnie ist mit ihrem Baby im Arm gestorben. Das Baby
weint
. Damit es Ruhe gibt, nimmt der Mörder Bonnie die Fesseln ab und schickt sie hoch, es zu holen.
»Warum bist du hergekommen?«, frage ich mich laut.
Hatte er von Anfang an geplant, die ganze Familie zu töten? Oder nur einige von ihnen? Die Mädchen zu vergewaltigen? Trug er eine Maske? Oder hat er sie getötet, weil sie ihn hätten identifizieren können?
Unten im Erdgeschoss. Es ist dunkel. Eine Taschenlampe und eine Waffe. Inzwischen hat Amos sicher gespürt, was der Eindringling mit den Mädchen vorhat. Er hat eine Höllenangst und ist bereit, seine Familie zu verteidigen. Doch zu spät, seine Hände sind gefesselt. Amos versucht zu kämpfen, da zwingt der Mörder ihn auf die Knie, steckt ihm die Waffe in den Mund und drückt ab. Blut spritzt im hohen Bogen durch die Luft. Gewalt, Horror, Tod.
Panik bricht aus, Schreie, Bonnie eilt zu ihrem Mann, berührt ihn, hat Blut an den Händen. Das Baby weint. Der Mörder richtet die Waffe auf das Kind.
Bring es zum Schweigen
! Bonnie drückt es fest an sich und läuft weg, hinterlässt einen blutigen Handabdruck an der Hintertür. Doch der Mörder lässt sie nicht entkommen, schießt ihr in den Rücken. Sie fällt ins Gras, Mutter und Kind im Tod vereint.
Bleiben noch vier.
Schreie hallen durchs Haus. Jetzt will der Mörder die Mädchen. Zwei weitere Schüsse, und die Jungen sind aus dem Weg. Die Mädchen schreien und weinen. Sie wissen, was jetzt kommt, und wissen es doch nicht. Warum hat er sie in die Scheune gebracht? Das hat er nicht. Die Mädchen haben sich losgerissen, rennen um ihr Leben, barfuß und mit gefesselten Händen. Doch sie können ihm nicht entkommen. Die Schreie machen dem Mörder Angst, wenn jemand sie hört …
Der Mörder folgt ihnen in die Scheune. Wo hat er seine Werkzeuge? Im Wagen. Ein weiterer Beweis, dass alles geplant war. Er ist nicht nur hergekommen, um zu morden, er wollte auch vergewaltigen und foltern. Seine dunkelsten Phantasien ausleben.
Er kriegt sie in der Scheune zu fassen, überwältigt sie problemlos. Und wählt die Sattelkammer, weil die keine Fenster hat. Niemand wird ihre Schreie hören.
Die Bilder, die ich jetzt im Kopf habe, sind nur schwer zu ertragen. Schweiß rinnt mir den Nacken hinab. Den Rest will ich mir nicht mehr vorstellen, drücke mich davor und klettere aus der Dunkelheit dieses kranken Hirns zurück in meinen eigenen Kopf.
Als ich die Küche durchquere und ins Wohnzimmer gehe, zittere ich am ganzen Leib. Durch die zwei Fenster fällt Dämmerlicht, ich erkenne die
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