Blutige Vergeltung
Gewebe schneller wieder aufgebaut wurde, als die Säure es zerstören konnte. Die meisten Jäger produzieren Narben wie am laufenden Band, trotz diverser Heilzauber – ich sollte mich glücklich schätzen, dass ich nicht auf Zaubersprüche angewiesen war.
Aber das Gegenteil war der Fall. Wie fast immer.
Nach einer Weile entschied ich, dass das flutende Sonnenlicht genügen würde, um dem Scurf endgültig den Garaus zu machen. Außerdem konnte ich ja wohl schlecht den ganzen Tag lang mit der Pistole im Anschlag auf der Straße rumhocken. Behutsam rappelte ich mich hoch und trat einen Schritt näher an die blubbernde Fettpfütze heran.
Mein Rosenkranz aus Tigerauge schlug mir gegen den Bauch. Der geschliffene Rubinbrocken an meinem Hals war warm und summte vor Energie. Die Narbe pochte, und auch das Silber in meinem Haar sang und klimperte. Alles war in Alarmbereitschaft.
Ich bin nicht gebissen worden. Aber zum Glück ist meine letzte Knoblauchimpfung ohnehin noch wirksam. Lange starrte ich auf den Fleck, bevor ich die Pistole schließlich wegsteckte. Scurf! Was kommt wohl als Nächstes?
Mach hin, Jill! Du hast noch andere Arbeit zu erledigen und eh kaum genug Zeit dafür.
Jacintas Mörder würde warten müssen. Noch einmal lief ich in die Gasse, um meine zweite Pistole und die fallen gelassenen Messer zu holen. Meine Knie schlotterten nur ein bisschen. Aber als der Pager in seiner kleinen gepolsterten Tasche plötzlich losging, hätte ich fast einen Herzinfarkt bekommen.
Das Micky’s am Mayfair Hill ist die Art von Restaurant, in denen Ortsansässige gerne unter sich bleiben. Das Essen ist gut, die Atmosphäre ruhig, und an den Wänden hängen Bilder von den Stars der Stummfilmzeit und einigen anderen Klassikern. Eigentlich komme ich nie bei Tag hierher, höchstens während der Morgendämmerung. Und nun war ich auch noch müde und blutverschmiert. Normalerweise gehe ich in so einem Zustand nicht unter Zivilisten – aber das Micky’s ist das beste Restaurant am ganzen Hill, wo die Schwulenclubs die ganze Nacht lang rocken und tollen.
Außerdem ist es das einzige Restaurant am Ort, das von Werwesen geführt wird.
Ich wartete nicht darauf, dass man mir einen Platz zuwies, sondern stolzierte an den Tischen vorbei – von denen um diese Uhrzeit nur wenige besetzt waren – und ging geradewegs zur Bar. Nach zwei Schritten in Richtung der schummrigen Höhle, wo ewiges Halbdunkel herrschte, aus dem schimmernde Flaschen und die glitzernde Jukebox in der Ecke herausstachen, bemerkte ich Therons Blick auf mir.
Der große, schlaksige, dunkelhaarige Wer hob eine Augenbraue und legte den Kopf schief. Ausnahmsweise ging ich direkt hinter den Tresen, ohne auch nur mein Tempo zu bremsen, und ein übernächtigter Geschäftsmann, den der Duft von irgendetwas Unnatürlichem umgab, blinzelte und rutschte nervös auf seinem Barhocker herum. Das Micky’s ist der Ort, an dem die Nachtschatten sich ihre Drinks genehmigen – solange man keinen Ärger macht, ist hier jeder willkommen.
Falls man allerdings den wilden Mann markiert, na ja … üblicherweise befördern die Angestellten deinen Arsch dann innerhalb von Sekunden vor die Tür. Wenn man Pech hat, büßt man außerdem ein paar Gliedmaßen ein. Und wenn ich gerade hier bin, ist es mir eine Freude, dem Personal dabei zu helfen.
Ich schnappte mir eine Flasche Wodka aus dem Regal und spazierte auf die Hintertür zu. Theron legte sein Geschirrtuch weg und kam hinterher. Er wartete, bis ich die Tür aufgeschoben hatte und auf die Straße getreten war, wo Amalia, eine Löwin aus dem Norte-Luz-Rudel, an der Wand lehnte und einen überraschten Schmollmund machte, als sie mich sah. Sicherlich war ich nicht gerade ein schöner Anblick.
„Hast du vor, dafür zu zahlen?“ Doch als ich zu ihm herumfuhr, blieb Theron wie angewurzelt stehen. „Himmel, Jill. Was ist denn mit dir passiert?“
Ich schraubte den Verschluss ab und trank mir einen farblosen Schluck Mut an. „In der East Side verschwinden Leute. Bisher vier Frauen und ein Mann, wahrscheinlich sogar mehr.“ Ich nahm noch einen Zug und wischte mir mit dem Handrücken den Mund ab. Das gewohnte Ritual des Trinkens beruhigte mich mehr als der Alkohol an sich, den mein Stoffwechsel sowieso in null Komma nichts verbrannte. „Ich brauche jeden einzelnen Wer der Stadt, um Razzien durchzuführen.“ Ich holte tief Luft. „Wir haben eine Scurfepidemie.“
Amalia wurde bleich vor Schreck und fuhr hoch. Ihr Haar war goldblond,
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