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Blutige Vergeltung

Blutige Vergeltung

Titel: Blutige Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilith Saintcrow
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kannte diesen Blick.
    Carper gehörte ab sofort zu den Gehetzten. Er hatte die Schattenseite aus nächster Nähe erlebt. Und zwar nicht nur den andersartigen Geruch eines Werwesens, nicht die Leichen, die zurückblieben, nachdem die Schattenseite die normalbürgerliche Welt in ihren Grundfesten hatte erschaudern lassen. Er war an die fünfundvierzig Minuten in dem Nachtklub gewesen – mehr als genug Zeit, um zu sehen, was sich hinter der Fassade der Realität verbarg.
    Sie wollten nur ein bisschen ihren Spaß mit ihm haben, Solange sie auf Shen warteten, hatte Irene gesagt. Gott allein wusste, welche Spielchen sie mit ihm getrieben hatten. Anscheinend solche, bei denen man sich einen Bissen genehmigte.
    Ich zog einen Stuhl mit hoher Lehne an die Seite des Betts. „Hey.“ Auch wenn ich von ihm Antworten brauchte, und das schnell, sprach ich langsam und sanft. „Wie geht’s dir?“
    Er brachte ein heiseres kleines Lachen zustande. „Kismet.“ Das war jedenfalls keine Antwort. „Herrgott!“
    „Nein, nein, nur die Erste, Detective.“ Ein kleiner Scherz, um ihn zu beruhigen.
    Wem wollte ich eigentlich was vormachen? Auf keinen Fall würde ich Carp beruhigen können. Er hatte hinter die Maske geblickt.
    Also entschied ich, zur Sache zu kommen. Ich konnte den Schock für ihn nicht weniger schlimm machen, aber vielleicht bekam ich von ihm wenigstens ein paar nützliche Informationen, wenn er klar denken konnte. „Bernardino, Alfie Bernardino, Ayalas Partner. Was weißt du über ihn, Carp?“
    Noch im selben Moment, da mir die Worte über die Lippen kamen, hasste ich mich selbst dafür. Was er brauchte, waren Beruhigungsmittel und eine Therapeutin, und nicht mich, die in seinen Erinnerungen rumschnüffelte und Gedanken wachrief, die er nur zu gern vergessen wollte.
    Er blinzelte. Es war zu deutlich, dass er einen inneren Kampf ausfocht. „Ayala. Sein Partner. Schleimiges Arschloch.“
    Das wird ja immer besser! „Er steckt bis zum Hals mit drin in der ganzen Scheiße. Aber ich schätze, das weißt du schon, stimmt’s?“, half ich ihm weiter.
    „Kreditkartenabrechnungen von dieser Bedienung … Irene. Sie …“ Carp hustete schwach, und ihm fielen die Lider zu. „Kiss, ihre Augen. Ihre Augen haben geglüht.“
    Das ist ganz normal, Carp. Ich legte ihm eine Hand auf die Stirn – die linke, weil die rechte vor höllenverpesteter Kraft ganz heiß war. „Ruh dich aus. Es geht vorbei.“
    Das war eine Lüge. Solche Sachen gehen nicht vorbei. Sie kommen immer wieder, in Albträumen und Tagträumen, Erinnerungsfetzen und posttraumatischen Anfällen, gegen die man dir Antidepressiva verschreiben wird – oder etwas Stärkeres.
    Vielleicht kann dir letztlich auch nur noch ein kalter Lauf im Mund helfen oder eine Flasche in der Hand oder Pillen, die man in den Staaten nicht bekommt. Etwas, irgendwas, das die bösen Erinnerungen vertreibt, damit man so tun kann, als wäre alles normal.
    Nur manchmal schafft man das nicht.
    „Weißt du sonst noch was über diesen Bernardino?“ Ich wollte ihn nicht drängen … aber mir blieb keine Wahl. Ich musste es wissen.
    „Akte. Vielleicht in der Akte … die Augen. Und die Zähne …“ Er schloss die Augen ganz. Carp suchte Zuflucht in einer Ohnmacht.
    Ich konnte es ihm nicht verübeln.
    Eine Weile lang saß ich noch neben ihm, während der Morgen vor den Fenstern immer kräftiger wurde. Meine linke Hand war kalt – wie die eines normalen Menschen – und lag schlapp auf Carps schweißnasser Stirn, unterhalb der Schnittwunde, die an seinem Haaransatz entlang und gezackt bis zur Schläfe verlief. Galina hatte sie genäht und mit einer Paste aus grünen Kräutern versorgt, auf der das klare goldene Licht der Magie einer Bewahrerin schimmerte. Galinas Werk, das präzise und sanft Schaden wiedergutmachte.
    Ich wünschte, sie hätte auch etwas, um die Wunde in seinem Inneren zu heilen. Ich würde Carp unbedingt zu einer Therapeutin bringen müssen – einige standen für solche Fälle immer auf Abruf. Ihre Rechnungen schickten sie an die zuständige Polizei.
    Was jetzt, Jill? Leg dir einen Plan zurecht. Dein Gehirn arbeitet ganz vorzüglich, also benutze es gefälligst!
    Behutsam ließ ich die Finger von Carps fiebriger, feuchter, menschlicher Haut gleiten.
    Es dauerte länger, als mir lieb war, um wieder Klarheit in meine Gedanken zu bringen. Ich atmete tief ein und fixierte die graue Dämmerung vor dem Fenster. Ich hatte Schlaf nötig, und Essen und ein paar Stunden zum

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