Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
sagte sie: »Das spricht für eure Tarnung.«
»Wohl eher für die Naivität der Deutschen, die denken, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.«
Ich muss weiterreden, dachte sie, ihn irgendwie beschäftigen. »Das ›Fallen Angel‹ – das ist euer Laden gewesen?«
Er nickte. »Natürlich. Dein Freund, der Bulle, ist mitten hineingestolpert. Der Idiot.«
Leonie schüttelte den Kopf. »Aber da war das – Etablissement – schon aufgeflogen, wegen der Morde an den Russen.«
Gianluca trank einen Schluck und spuckte auf den Boden. »Fürchterlich. Ich hole gleich Frisches. Das stimmt schon. Aber er hätte die Kinder Kinder sein lassen sollen. Und mit dieser Irina – mit der werden wir uns noch befassen.«
Sie setzte sich zurück und taxierte ihn nachdenklich. Er hatte die Ärmel seines blauen Jeanshemds bis zu den Ellenbogen aufgerollt, darunter waren seine Arme sehnig und braungebrannt. Seine hellen Haare fielen ihm in die Stirn, und seine Augen erwiderten gelassen ihren Blick. Er wirkte attraktiver und männlicher denn je, fast wie einer der Yachtbesitzer in den Häfen am westlichen Mittelmeer, die sie mit Damiano besucht hatte. Fest im System verankert, machte Gianluca seine eigenen Gesetze und tat, was er für notwendig hielt. Sein Mafiagesicht ließ den Macher erkennen, der die inneren Dämonen verdrängte. Mit schlafwandlerischer Sicherheit wusste Leonie, dass sein Weg nicht der ihre war. Sie fühlte sich nackt und schutzlos und ärgerte sich, dass sie ihren Rock nicht über die Knie ziehen konnte. Verzweifelt suchte sie nach Worten, um ihre Angst zu vertuschen.
»In euren Kreisen darf man nicht ungehorsam sein.« Sie dachte an Irina und an Alessio, der den Aufstand gegen den Riesen gewagt hatte.
Er zuckte die Schultern. »Man hält sich besser an die Spielregeln. Nicht wie dieser Ölnhausen, der Kinderschänder.«
»Und wenn jemand ein Verräter ist?«
»Dann stirbt er.«
»Und das entscheidet natürlich ihr.«
Er nickte und lächelte warm.
»Aber dein Onkel musste seine Anonymität aufgeben, als er die Russen ermorden ließ.«
»Meinem Onkel geht die Ehre über alles. Und was ist das hier schon?« Mit einer verächtlichen Gebärde fasste er alles zusammen. »Ein winziger Standort in Deutschland. Der Clan, die Familie, ist sehr viel größer und mächtiger als das alles.«
57.
Mit langen Sätzen lief Fabian durchs Foyer des Esslinger Klinikums, das orange durchflutet im Abendlicht lag.
»He, was wollen Sie?«, rief ihm der Portier hinterher.
»Polizei!«, rief er, öffnete eine Glastür und stieg, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Wieder eine Glastür, und er stand völlig außer Atem im Flur der Station, auf der sie Laura Cortese untergebracht hatten. Er holte tief Luft und starrte in den Gang, der gleichförmig und still dalag. Wie sollte er eine Frau zum Sprechen bringen, der das Schweigen in Fleisch und Blut übergegangen war? Egal! Die Schonzeit für Laura war vorüber.
Vorsichtig drückte er die Klinke herunter und schob die Tür auf.
»Sie schon wieder.« Sie saß aufrecht im Bett. Auf ihrem nicht angerührten Tablett wellten sich die Ränder der Käsescheiben traurig nach oben. Ihre Bettnachbarin betrachtete den späten Besucher ungeniert und wandte sich dann überrascht Laura zu. »Ich dachte, Sie sprechen kein Deutsch.«
»Tatsächlich?«, fragte Laura spöttisch.
»Sagt kein Wort, obwohl sie es könnte«, grummelte die Bettnachbarin und versenkte sich wieder in die Frauenzeitschrift auf ihren Knien.
»Was wollen Sie?«, fragte Laura kühl.
»Ich muss mit Ihnen reden.«
»Wir haben schon geredet.«
»Es ist Zeit für Klartext.«
Gehetzt sah sie sich um. »Ich klingle und lasse Sie rausschmeißen!«, drohte sie. Fabian flüsterte jetzt. »Dann gebe ich zu Protokoll, dass Sie mit einem … Mafiaclan verbandelt sind.«
Aus Lauras Gesicht wich die Farbe, bis nichts mehr blieb als nackte, weiße Angst.
»Gut.« Sie schwang ihre Füße aus dem Bett und angelte nach ihren Pantoffeln. In der Stunde nach seinem letzten Besuch hatte sie ihr getupftes Krankenhaushemd durch einen lila Pyjama ersetzt. Fabian nahm das als gutes Zeichen.
»Kommen Sie mit auf den Gang!«, sagte sie und ging ihm voraus. In einer Fensternische gruppierten sich Stühle rund um einen Tisch, auf dem Zeitschriften und zerlesene Taschenbücher lagen. Sie setzten sich einander gegenüber und taxierten sich vorsichtig.
»Alles in Ordnung, Frau Cortese?« Die Nachtschwester kam
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