Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
sondern Geld holen. Sie hatten ihre festen Zeiten, und die Vertragspartner wussten Bescheid, wann sie sich bereithalten mussten. Italienische Restaurants funktionierten so. Man zahlte, egal ob in Kalabrien, Palermo oder in Stuttgart City.
»Ciao.« Er sprach Italienisch.
Cinzia wischte gerade die Theke ab, ihr Blick hob sich, und sie wurde blass. Die Tochter des Besitzers war hübsch, dunkelhaarig und hatte beeindruckende Kurven in einem schwarzen Pullover mit V-Ausschnitt.
»Habt ihr die Kohle da?« Genüsslich schaute er zu, wie ihre Brüste vor Aufregung auf und ab wogten. Irgendwann würde er sie in einen Club einladen, und sie würde sich nicht trauen, ihm einen Korb zu geben.
»Ich muss meinen Vater holen«, sagte sie tonlos, wich seinem Blick aus und verschwand in der Küche, in der er Geschirr klappern hörte. Sebastiano betrat mit seiner Kochjacke die Gaststube und wischte sich die feuchten Hände an der Hose ab. Er sah, wie der Wirt sich bemühte, seinem Blick standzuhalten und ahnte, dass alle in den Pizzerien wussten, wer Massimo und Maria umgebracht hatte. Niemand hatte der Polizei gegenüber geplaudert, und er sonnte sich in dem Gefühl von Autorität, das er ausstrahlte.
»Du weißt, dass es Zeit ist? Sonst könnte euch ein – Missgeschick – passieren.«
»Ja, aber …« Sebastiano schwitzte, sein Gesicht war ungesund gerötet, und das nicht nur vom kochenden Spaghettiwasser. Er holte tief Luft. »Die Geschäfte gehen nicht gut. Die Krise. Ich bitte dich um einen Aufschub bis Montag.«
Das hörte er jeden Tag und hatte eine Strategie diesbezüglich entwickelt. Er lehnte gewöhnlich ab, denn es brachte die Ordnung durcheinander. Wir da oben, ihr da unten. Cinzia kam zurück und stellte sich hinter ihren Vater. Ihre langen Beine steckten in hochhackigen Stiefeletten. Unwillkürlich fragte er sich, ob der Vater ihm als Gegenleistung für den Aufschub seine Tochter verkaufen würde. Zehn Minuten, nur ein Quickie im Flur vor der Toilette. Doch dann dachte er, dass ihm eine gewisse Großzügigkeit in Bezug auf Cinzia gut stehen würde. Nur nichts übereilen. Sein Blick streifte ihr blasses Gesicht, und ihr Vater schaute besorgt zu. Er hatte alles im Griff.
»Übermorgen«, sagte er. »Das ist mein letztes Wort.«
»Mille grazie!« , hauchte Cinzia.
Sie servierte ihm einen Espresso und ein Wasser an der Bar. Eine Viertelstunde später stand er auf der Straße, ohne Geld, doch mit dem befriedigenden Gefühl, dass die Macht auf seiner Seite war. Als er den Hang hinunterlief, kickte er eine Bierdose vor sich her. Er hatte alles im Griff, nur Alessio nicht. Der Kleine hatte sich abgesetzt und den geleisteten Eid gebrochen. Das machte ihm Sorgen. Denn schließlich war er sein einziger Bruder, und Blut war dicker als Wasser. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Tod ihres Vaters. Hatte diese römische Puttana ihm seine Medikamente vorenthalten? Es lag ein Schatten auf Alessios Namen, ein Makel, den der Junge nur loswerden konnte, indem er sich so schnell wie möglich integrierte. Er würde ihn suchen und auf Kurs bringen müssen.
10.
Der Anruf erwischte Kommissar Fabian Grundmann beim Joggen. Es ging steil bergauf, den Weg hinterm Bregel hinauf zum Aussichtsturm bei der Katharinenlinde auf den nördlichen Höhen von Esslingen. Seine Schritte tönten in einem monotonen Rhythmus, sein Shirt war schweißdurchtränkt, und sein Atem brannte in seiner Brust. Aber sein Headset legte Fabian nicht ab, nicht einmal, wenn er am Samstag zum Joggen ging. Zum Glück kam er endlich oben zwischen den Obstbäumen an, die voller grüner Äpfel hingen. Über sich sah er den Aussichtsturm und die Linde, deren Pflanzung auf den Märtyrertod der heiligen Katharina von Alexandria zurückging, die in Esslingen geköpft worden sein sollte. So ein Quatsch.
»Hallo«, schallte es in seinen Ohren. Und dann überrumpelte ihn ein so ohrenbetäubender, dissonanter Lärm, dass er sich fluchend den Kopfhörer vom Ohr riss.
»Ich bin’s, Eckhard.«
Ungehalten verstöpselte er sich neu und lief weiter, langsam jetzt, Fuß für Fuß auf dem Kamm der Hügelkette. Der Schutzpolizist Eckhard begleitete die heutige Stuttgart-21-Demo in der Polizeikette, und Fabian würde um keinen Preis der Welt mit ihm tauschen. Er war gegen den Tiefbahnhof, schon weil sein Vater dafür war, und er war heilfroh, dass er als Kriminalpolizist normalerweise in keine geschlossenen Einsätze abkommandiert wurde. Jetzt verstand er auch den Lärm, der in
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