Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
gehört, dass sie Kunstgeschichte studiert hatte. Aber er wusste nicht einmal, ob sie noch mit Jonas Faber zusammen war.
Fabian fuhr vorsichtig in den Hinterhof des Fachwerkhauses in der Franziskanergasse, dessen Mansarde er bewohnte.
Er stellte den Saab vor die Papiermülltonnen und zog den Schlüssel ab, der wie bei allen Autos dieser Marke in der Mittelkonsole steckte und nur rausging, wenn man vorher den Rückwärtsgang einlegte. Leichtfüßig sprang er die Treppe zu seiner Wohnung hinauf, öffnete die Tür und stieß sich als Erstes den Zeh an der Altglaskiste, die er zwecks Entsorgung davorgestellt hatte. Aus seinen Plänen, seine chaotische Wohnung heute endlich aufzuräumen, würde wohl wieder nichts werden. Eine halbe Stunde später hatte er geduscht und sich umgezogen und war auf dem Weg nach Obertürkheim, wo man das Auto problemlos im Ortskern abstellen konnte, wenn man die S 1 nach Stuttgart nehmen wollte.
11.
»Derya heiratet Murat.« Emine tauchte das Fensterleder in ihren Putzeimer, drückte es aus und rieb quietschend die Butzenscheiben des Küchenfensters blank. »In grrroßem Stil.«
Prüfend richtete sie ihre Augen auf Leonie, die gerade mit Leander auf der Hüfte ein Kilo Aprikosen auspackte, und pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Wir laden über tausend Gäste ein.«
Neben dem Kühlschrank saß der Mops und betrachtete interessiert die Vorgänge in der Hausmann’schen Küche. Seit Leonie ein ernstes Wort mit ihm gesprochen hatte, verhielt er sich einwandfrei, fast zumindest, wenn man von wiederkehrenden Anfällen unkontrollierbaren Heißhungers absah.
»So viele?« Leonie setzte Leander auf die andere Seite und packte die Nektarinen aus. Emine öffnete das Küchenfenster, polierte die Scheiben nacheinander von außen und warf einen prüfenden Blick hinaus. Vor dem Fenster stand ein blauer, heißer Julitag, den man jetzt erheblich besser sehen konnte.
»Perfekt«, stellte sie fest. »Das ist halt so bei uns, wenn die Tochter heiratet.«
»Aber kostet das nicht ein Vermögen?« Leonie stellte Leander auf den Boden. Sofort griff er nach der Kante des Küchentischs und hangelte sich daran entlang. Am Ende angekommen, ließ er sich fallen und krabbelte in seine Spielecke. Leonie packte nacheinander Karotten, Salat und eine Schale Bioerdbeeren aus, von denen sie ihm eine in den Mund steckte. Sie hatten an diesem Samstagmorgen schon eine größere Einkaufstour in die Innenstadt hinter sich gebracht. Staunend hatte Leander von seinem Fahrradsitz aus die bunten Marktstände mit dem Sommergemüse und den Blumen betrachtet, die jeden Samstag und jeden Mittwoch neben der Stadtkirche aufgebaut wurden. »Njam«, sagte er und biss so genussvoll in die Erdbeere, dass ihm der rote Saft das Kinn hinablief.
»Ach weisch, Leonie. Des hen mir am Abend der Hochzeit alles wieder zsamme.« Der stumme Vorwurf, dass Leonie sich ein Kind hatte anhängen lassen und so wohl nicht im großen Stil und wahrscheinlich sogar niemals heiraten würde, stand unausgesprochen im Raum.
»Sybille heiratet auch bald. Auch ganz groß, und Sie werden sicher eingeladen.« Leonie wusste gar nicht, wie lange die türkische Putzfrau schon für die Familie Hausmann arbeitete, seit ihrer Kindergartenzeit oder länger. Und immer war Leonie ihr Liebling gewesen, hatte zusammen mit Derya auf Emines Knien gesessen und in Honig getunktes, türkisches Naschwerk verdrückt. Mit Liebe hatte Emine ihr nussbraunes Haar zu zwei Zöpfen geflochten und darauf aufgepasst, dass sie ihre Schulaufgaben machte. Und nach dem Tod ihrer Mutter war sie immer für sie da gewesen. Klar, dass Emines Enttäuschung groß war, als gerade Leonie ihr Leben in den Sand setzte.
»Schon gut.« Emine putzte sich die Hände an ihrer geblümten Schürze ab. »Wenn’s unter uns bleibt, kann ich dir ja sagen, was ich denk. Die Baggage vom Murat aus der Türkei, die hätt ich net unbedingt braucht. Aber einladen muss man sie halt doch.«
In diesem Moment betrat Leonies Vater die Küche und zwinkerte ihnen zu. »Guten Morgen die Damen, hallo Enkelsohn.« Augenscheinlich hatte Gottfried Hausmann eine steife Meeresbrise guter Laune von seiner Chorprobe mit dem Esslinger Shantychor mitgebracht. Er drückte Leonie kurz die Schulter und half ihr dann, die weiteren Einkäufe vom Metzger und aus dem Supermarkt zu verstauen. Leonies Vater war ein großer, hagerer Mann mit nachdenklichen Augen, dessen ehemals blonde Haare langsam schütter wurden. Mehr oder weniger
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