Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
und giftigen Orchideen geflüchtet?«
»Ach, du denkst, dass Jonas Leanders Vater ist?« Sie spürte, wie sie über und über rot wurde. »Du irrst dich! Ich bin schon fünf Jahre nicht mehr mit ihm zusammen. Ich bin alleinerziehend.«
»Ach so!«
Klang er erleichtert, oder bildete sie sich das nur ein?
»Ist das nicht schwierig, so allein mit Kind?«
Sie lachte leise. »Soll das ein Verhör sein, oder was?« Verbissen hievte sie den Buggy den nächsten Bordstein hinauf. »Natürlich ist es schwierig. Alles ist anders. Ich habe meine Promotion auf Eis gelegt, mache die Nächte durch. Und trotzdem würde ich Leander um keinen Preis der Welt mehr hergeben. Und ich habe ja auch Hilfe. Meine Familie reißt sich mindestens sechs Beine für uns aus.«
Zielsicher steuerte sie durch den alten Ortskern mit dem Brunnen und den alten Dorfhäusern auf den Spielplatz in der Oberesslinger Grünanlage zu. Als sie das Tor aufschob, war es mit der Ruhe vorbei. Der Park bestand hauptsächlich aus einer großen Wiese voller Obstbäume, auf der Horden von Grundschulkindern lärmend Fußball spielten. Auf der Schaukel saßen zwei kleine Mädchen in Rüschenkleidern und flogen um die Wette, bis ihre weißen Sandalen fast die Wolken berührten. Im Sandkasten herrschte Hochbetrieb an Dreikäsehochs mit dicken Windelpopos und Sonnenhüten. Leonie setzte Leander in den Sand, rückte seine Kappe zurecht und drückte ihm eine Schaufel und einen Eimer in die Hand, den er sofort zu füllen begann. Seufzend ließ sie sich danach auf der Umrandung nieder. Fabian setzte sich nach kurzem Zögern neben sie. Auf den Bänken rundherum verbrachten viele Eltern den Nachmittag mit Nichtstun, aßen Eis und schauten zu, wie ihre Kinder Sandkuchen backten und sich gegenseitig mit der Schaufel auf den Kopf hauten. Leonie spürte ihre prüfenden Blicke und sah sich einen Moment lang mit Fabian und Leander von außen. Sicher würde man sie für die perfekte Kleinfamilie halten und morgen, wenn sie allein wiederkäme, wäre Fabian in der Vorstellung der anderen Mütter noch immer der potentielle Vater ihres Babys. Leonie ärgerte sich plötzlich, dass ihr diese Vorstellung so gut gefiel.
Auffordernd blickte sie ihn von der Seite an. »Jetzt leg schon los!«
»Was?« Er saß fast Bein an Bein neben ihr, so dass sie ihn riechen konnte. Rasierwasser, Männerhaut und ein bisschen Schweiß. Eine köstliche Mischung. Noch näher zu rücken, traute sie sich jedoch nicht. »Naja, du willst mich doch fragen, warum ich Alessio nicht verpfiffen habe.«
Er wirkte ein bisschen abwesend. »Ach so, ja klar. Warum also?«
Leonie griff in den Sand und ließ ihn langsam durch ihre Finger rieseln. Sie zog die Flipflops aus und versenkte ihre Füße im weichen Untergrund. »Ich habe ihn gemocht«, begann sie.
»Und das ist ein Grund, nicht die Wahrheit zu sagen?«
»Er hatte mir im überfüllten Bus mit dem Buggy geholfen, und dann sogar Leander gehütet. Da konnte ich ihm so etwas wie einen Handtaschenraub nicht zutrauen. Und was sagt schon ein Foto. Gar nichts.«
»Trotzdem hättest du Fritz Keller die Wahrheit sagen müssen. Er hatte dich nur gefragt, ob du einen der jugendlichen Straftäter wiedererkennst.«
Ein kleines Mädchen mit rosa Schleife im Haar betrachtete sie staunend und krabbelte dann auf Leander zu, der noch immer hochkonzentriert seinen Sandeimer füllte.
»Das ist nicht alles. Er hat mich an Caravaggios Jungen erinnert.«
»Caravaggios was?« Fabian drehte sich um und starrte sie an, als ob sie nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. Und vielleicht stimmte das sogar.
»An Caravaggios Jungen oder, na ja, an einen von ihnen. Sein Freund Mario Minitti hat ihm im Jahr 1595 Modell gestanden für das Bild des feiernden Bacchus. Es ist ein bekanntes Werk von ihm, aber das heißt natürlich nicht, dass du es kennen musst.«
»Nein, wahrscheinlich nicht«, sagte er spöttisch.
»Also, pass auf.« Sie räusperte sich und schaute ihn abschätzend an. »Caravaggio war ein Maler aus der Barockzeit, ein ziemliches Raubein, berüchtigt für seine Raufereien. Er wurde sogar wegen Mordes gesucht. Sein Bacchus ist ein weinlaubbekränzter Teenager, der reichlich dem Alkohol zuspricht.«
»Na, da sind wir ja in den passenden Kreisen.«
»Nun ja, Caravaggio galt als potentiell homophil. Da streitet man sich aber heute drüber, und für seine Kunst ist es auch nicht wirklich wichtig. Aber schwul war ganz sicher der Bischof del Monte, der das Bild in Auftrag
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