Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
herausragend war. »Weißt du, wie gut du bist?«
Er zuckte die Schultern. »Was heißt das schon?«
»Du solltest eine Mappe zusammenstellen und dich an verschiedenen Akademien bewerben. Du hast das Zeug zu einem Künstler.«
»Vielleicht mach ich das ja«, sagte er. »Wenn sie mich nicht vorher von der Schule werfen.«
»Dafür lohnt es sich, am Ball zu bleiben und das Abi zu machen. Vielleicht wird ja mal der nächste Anselm Kiefer aus dir. Komm!«
Entschlossen zog sie ihn am Ärmel. »Wir machen uns noch Spaghetti aglio e olio!«
Nach dem Essen, zu dem sich auch ihr Vater gesellt hatte, folgte ihr der Mops entschlossen unters Dach. An der Tür drehte sie sich zu ihm um. »Nur, wenn du brav bist und auf dem Boden schläfst.« Er schaute sie mit schief gelegtem Kopf treuherzig an. »Also gut. Ich hoffe, du benimmst dich.«
Sie setzte sich an den Computer und klickte eine weitere Jobseite an, diesmal eine regionale, auf der Angebote für Bürokräfte und Aushilfskellnerinnen standen. Nichts, nichts, und wieder nichts. Doch hier. Leonie überlief es heiß und kalt. Ein Volltreffer, na bitte. Es wurde eine Redakteurin für den Schwabenspiegel gesucht.
»Das In-Magazin für Stuttgart und Region«, las sie. Die Stelle sollte im Ressort Kultur sein, was wunderbar war, denn da konnte sie ihre Kenntnisse als Kunstkritikerin einbringen. Schon als Studentin hatte Leonie für verschiedene Blätter in der Region geschrieben, Schultheaterstücke und Kaninchenausstellungen besprochen und bei den Festen des Schwäbischen-Alb-Vereins die Jubilare fotografiert. Gleich morgen würde sie ihre Bewerbung und ihre Arbeitsproben an die Chefredakteurin schicken. Das Angebot war zwar nicht die Wucht, aber immerhin ein Anfang. Aber jetzt war sie zu müde, um überhaupt noch weiter auf den Beinen zu stehen. Leonie streifte die Flipflops von den Füßen, legte sich in Jeansshorts und T-Shirt auf ihr Bett und zog das Laken über sich. Irgendwann nach Mitternacht würde Leander aufwachen und zwei Stunden lang spielen wollen. Der Mops nahm Anlauf, folgte ihr mit einem entschlossenen Sprung, der das Bett in seinen Grundfesten erschütterte, und legte sich auf ihre Beine.
»Runter da«, zischte sie, und er rollte sich auf dem freien Platz neben ihr zusammen. »Meinetwegen«, murmelte sie, vergrub ihre Hand in den Speckrollen in seinem Nacken und war im Nu eingeschlafen.
26.
Als Peter Ölnhausen erwachte, wusste er zunächst nicht, wo er sich befand. Dann fiel ihm ein, dass er die laue Luft der Sommernacht für ein Schläfchen am Pool genutzt hatte. Er reckte den Hals und schaute hinauf zur Terrasse. Dahinter lag der zweistöckige Bau, sein Haus. Große Fenster, moderne Formensprache. Als ehemaliger Bauunternehmer wusste er, dass man ihm ansah, was es gekostet hatte. Es war Nacht, die Luft war so mild, dass ihm noch immer zu warm war, und der Gedanke an Sex drängte sich auf. Mit den kleinen blauen Pillen würde er auch heute Nacht wieder leistungsfähig sein. Er richtete sich auf, griff nach dem Glas, das auf der Umrandung des Pools stand, und trank einen Schluck. Das Bier war schal geworden. Ölnhausen spuckte aus. »Milena«, rief er. Sie sollte ihm eine neue, eisgekühlte Flasche bringen.
Wo blieb sie bloß? Der Gesang der Zikaden übertönte das Plätschern der Pumpe und vielleicht auch seine Stimme. Lauter als das Rauschen des Meeres, dachte er. Und noch einmal lauter. »Milena!«
Immer mit der Ruhe! , dachte er. Hatte er nicht viel erreicht im Leben? Von ganz unten hatte er sich raufgearbeitet bis in die Chefetage der eigenen Firma. Und jetzt war er Pensionär und konnte sich den schönen Dingen des Lebens widmen. Niemand ahnte, wie nahe er am Abgrund vorbeischrammte. Wie schnell die Aktien, in denen er den Erlös aus dem Verkauf der Firma angelegt hatte, ins Bodenlose gefallen waren. Er hatte sich verspekuliert und hörte schon seine Neider lachen. Doch die Geldquelle, die sich ihm aufgetan hatte, würde seine Sorgen fortspülen. Er legte sich zurück und rülpste zufrieden. Etwas Magensäure lief ihm dabei in die Speiseröhre zurück. Sodbrennen. Kein Wunder, nach dem guten Essen heute Abend. Milena hatte Borschtsch gekocht. Er hatte gar nicht gewusst, dass sie das konnte. Flüchtig dachte er an die Warnungen seines Arztes, schaute über seinen Bauch auf seine Zehen und öffnete den Gürtel des Bademantels, der plötzlich spannte. Auf dem Pool lagen Blätter und etwas fauliges Gras, das beim Rasenmähen hinübergeweht sein
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