Blutiger Sand
mehr gesehen. – Nein, stimmt nicht. Ein Kumpel von mir ist ihm Jahre später bei einem Hell’s-Angels-Treffen in Flagstaff begegnet. Angeblich hat er damals damit geprahlt, ein Profikiller zu sein. Aber mein Kumpel hat ihn nicht ernst genommen.“
„Hätte er vielleicht tun sollen“, murmle ich. „Kennst du zufällig auch einen Mann, der ‚The Snake‘ genannt wird? Soll ein Freund von Dick Carson sein.“
„Nie von dem gehört.“
„Scheiße“, sage ich zu Orlando, als wir wieder allein sind. „Jetzt weiß ich zwar mehr über Carsons Vergangenheit, aber das bringt mich keinen Schritt voran.“
Auf dem Weg zu unserem Bungalow bin ich sehr schweigsam.
Orlando lässt mich in Ruhe. Er wirkt müde.
Am nächsten Morgen frage ich unsere Gastgeberin beim Zahlen, ob sie mit ihrem Mann gesprochen habe und er sich an Dick Carson erinnern könne.
Sie schaut mir nicht in die Augen, als sie den Kopf schüttelt.
„Er hat hier gelebt“, insistiere ich.
„Das mag durchaus sein, aber mein Mann kennt ihn nicht. Tut mir leid.“
Sie lügt, denke ich. Gilt Lügen bei Mormonen nicht als Sünde? Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass sich die Leute in so einem kleinen Nest nicht kennen. Da ich nicht weiß, wie ich sie dazu zwingen könnte, mir die Wahrheit zu sagen, verabschiede ich mich sehr kühl von ihr.
Wir gehen in einen Bakery Shop frühstücken. Orlando isst zwei Donuts und erklärt Donuts zu seinem neuen Lieblingsessen. Ich trinke nur Kaffee.
„Was hast du dir denn erwartet? Hast du tatsächlich geglaubt, dass dir in Carsons Heimatort jemand den zweiten Mörder deiner Eltern auf einem silbernen Tablett serviert?“
Frustriert verlassen wir die Kleinstadt-Idylle.
Wir fahren Richtung Südosten. Südlich des Highways liegen die großen Navajo- und Hopi-Reservate. Steinwüsten, in denen so gut wie nichts wächst. Die schwarzen Kreuze der alten Telegraphenmasten spannen sich wie Spinnenarme über die menschenleere Gegend. Dürres Gestrüpp und Agaven, fast so hoch wie Bäume, am Straßenrand. Staubige Kakteen und verwaiste Sandhügel dahinter.
„Pass auf!“, kreischt Orlando, als ein paar vertrocknete Büsche über die Straße rollen. „Was ist das?“
„Tumbleweeds. Die kennst du doch aus den Western.“
„Irre. Schau, da kommen noch mehr.“ Der trockene Wind jagt ein halbes Dutzend rollende Büsche vor sich her.
Auf einmal erblicken wir einige niedrige, aus dünnen Holzlatten gezimmerte Hütten unter dem schattenspendenden Dach wild zerklüfteter Berge. Wir sind im Kanab Canyon, verrät uns ein Straßenschild. Bei einer Trading Post halte ich an, um zu tanken. Mir ist ein bisschen schwindlig. Ich habe nichts im Magen.
Kurz nach uns trifft eine Gruppe Harley-Davidson-Fahrer ein. Daneben spuckt ein Bus Unmengen von weißhaarigen Touristen aus. Eifrig fotografieren die Alten die wilden Kerle und ihre tollen Maschinen.
Als die Motorradfahrer ihre Vollvisierhelme abnehmen, sehen sie gar nicht mehr so wild aus. Im Gegenteil, sie machen einen recht zivilisierten Eindruck auf mich. Es scheint sich um lauter wohlhabende Fünfzigjährige zu handeln. Wer kann sich sonst schon so ein teures Gefährt leisten, frage ich mich. Unwillkürlich muss ich wieder an Dick Carson denken. Angeblich fuhr er ja ebenfalls eine Harley. Hatte er bei seinen Raubüberfällen tatsächlich so viel erbeutet oder war seine Maschine gestohlen?
Ich spreche einen der Motorradfahrer an. Obwohl ich es für mehr als unwahrscheinlich halte, will ich keine Gelegenheit ungenützt lassen, mich nach Carson und seinem Kumpanen zu erkundigen.
„Woher kommt ihr?“
„Aus Chicago“, sagt der gepflegte, gut aussehende Mann mit den millimeterkurz geschnittenen grauen Haaren.
Sogleich verliere ich das Interesse an ihm. Er scheint meine Frage für eine Anmache zu halten und lässt mich nicht so schnell gehen, fragt, woher wir kommen, und schon sind wir beim Thema „beautiful old Europe“ angelangt.
Ich entschuldige mich, deute auf Orlando, der gerade das Self-Service-Restaurant neben der Trading Post betritt, wünsche ihm eine gute Reise und folge Orlando.
Nachdem ich ein monströses Thunfisch-Sandwich verdrückt habe, fühle ich mich besser.
Was für ein traumhafter Frühlingstag! Vierundzwanzig Grad. Eine sanfte Brise weht vom Lake Powell her, als wir mit offenen Fenstern weiterfahren.
„Mein Vater hat sein Leben lang von einer Harley geträumt“, sage ich traurig.
„Wärst lieber mit so einem heißen Eisen unter deinem Hintern
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