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Blutiger Sand

Blutiger Sand

Titel: Blutiger Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Kneifl
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„Was sagst du dazu?“
    „Nicht übel.“
    „Hier kann man bis in die Unendlichkeit sehen.“
    „Wenn’s nicht so stauben würde.“
    Orlando hat Recht. Roter Staub hängt in der heißen Luft, verblasst und verschwindet wieder, bis er erneut die zerklüfteten Sockel einhüllt, aus denen sich die Berge im Süden wie Tafeln erheben.
    Mir kommt hier alles sehr vertraut vor. Diese fast 1900 Meter hoch gelegene Ebene auf dem Colorado Plateau diente als Kulisse für viele berühmte Western.
    Ich bleibe kurz am Straßenrand stehen und bitte meinen Freund, ein paar Fotos zu machen.
    „Nicht nur John Ford hat einige seiner Filme hier gedreht. Auch Sergio Leones Western-Epos ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘ und das berühmteste aller Roadmovies, ‚Easy Rider‘, sind hier entstanden.“
    „Echt? Das ist cool.“
    Endlich ist es mir gelungen, Orlandos Interesse zu wecken.
    „Außerdem ist das Monument Valley eine beliebte Kulisse für Werbespots und Plakate. Erinnerst du dich an den Marlboro Man? – Nein? Als du deine erste Zigarette geraucht hast, gab’s doch bei uns noch kein Werbeverbot für Tabakwaren.“
    Orlando ist zwar heute ein militanter Nichtraucher, aber als ich ihn vor fünf Jahren in einem Barkeeperkurs in Wien kennengelernt habe, hat er geraucht wie ein Schlot.
    „Der Monument Valley Tribal Park gehört zur Navajo Nation Reservation, wird also von den Navajo verwaltet …“
    „Mir ist ein bisschen mulmig.“ Auf Orlandos nackten Armen macht sich Gänsehaut breit.
    „Ist dir schlecht? Trink was.“
    „Nein. Ich hab auf einmal daran denken müssen, wie viele Tote unter diesem Sand begraben liegen. Hier sind doch tausende Indianer von der US -Armee brutal abgeschlachtet worden. Der Sand muss voller Blut gewesen sein. Wir fahren über blutigen Sand …“
    „Du sprichst von Filmen. Ich weiß nicht, ob im Monument Valley jemals wirklich eine große Schlacht stattgefunden hat.“
    Meine Worte scheinen ihn nicht zu beruhigen.
    „Ich will hier weg!“ Seine Stimme ist gefährlich am Kippen.
    Ich fürchte, er wird gleich eine seiner Panikattacken bekommen.
    Wie kann man nur in diesem offenen Land Platzangst haben? Das ist wieder einmal typisch Orlando.
    „Werde jetzt bloß nicht hysterisch! Wo soll ich denn hin?“
    Mein Freund hat Tränen in den Augen.
    Ich streichle seine Hand. „Bitte Orlando! Ich weiß, dass du hypersensibel bist und ein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen besitzt, aber du brauchst dich hier wirklich nicht zu fürchten. Wir sind in einer Art heiligem Land. Hunts Mesa gilt als spirituelles Herz des Navajo-Volkes. Sie nennen dieses Land Dinétah.“
    „Kommt von Diné, die Menschen, wie Simon uns erklärt hat, oder?“
    „Hey, du hast ja ausnahmsweise einmal zugehört.“ Ich tätschle sein Knie.
    „Schau dort drüben stehen die berühmten Totempfähle.“ Ich deute auf schmale Pfähle aus Sandstein, die sich majestätisch aus den Dünen erheben. Und rede weiter, hoffe, mein Gerede wird ihn von seinen Ängsten ablenken.
    „Die Navajo im Monument Valley leben sehr traditionell, ohne fließendes Wasser und ohne Elektrizität. Wichtig für sie sind die Pflanzen, die hier wachsen. Die Yucca, zum Beispiel, liefert das Rohmaterial für ihre Körbe, ihre Kleidung, ihre Schuhe und sogar für ihre Seife. Auch die Farben, mit denen sie ihre Wolle färben, stellen sie aus Wüstenpflanzen her. Navajo-Teppiche und -Decken sind mittlerweile sehr wertvoll.“
    „Auch die Decke, die mir Simon geschenkt hat?“
    „Ja. In einem Geschäft würde sie sicher ein kleines Vermögen kosten.“
    Ein glückliches Lächeln erscheint auf seinen Lippen.
    Die Sonne steht im Südwesten. Die Kakteen und Sträucher am Straßenrand glänzen, als hätte jemand silbrige Fäden in das trübe Braun gewoben. In diesem Land, in dem kaum Regen fällt, wird das Gras nie richtig grün. Die Nachmittagssonne lässt die gigantischen Felsen golden leuchten. Wind und Wasser haben ihr eigenes Spiel mit ihnen getrieben und bizarre Formen entstehen lassen: riesige Pilze, gewaltige Trommeln, aneinandergereihte Michelin-Männchen mit wulstigen Speckfalten um die Mitte und daneben grazile, fingerförmige Figuren, die an Alberto Giacomettis elegante Plastiken erinnern. Jeder noch so kleine Kaktus bildet sich ein, er wäre eine stolze Rose, und wirft einen langen Schatten. Die Summe aller Schatten malt kuriose Muster auf die kahlen Felsen.
    Orlando schenkt dem Schauspiel von Licht und Schatten kaum Beachtung. Er beginnt wieder

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