Blutiger Sand
unterwegs?“
„Warum nicht? Vielleicht mache ich eines schönen Tages den A-Schein und kaufe mir eine Maschine. Muss ja keine Harley sein.“
Als der Lake Powell in Sicht kommt, trete ich unwillkürlich auf die Bremse.
So etwas Irres habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen: eine Mondlandschaft, die in den verrücktesten Farben leuchtet. Das mäanderartige Gewässer erstrahlt in Pink und Dunkelviolett. Völlig unwirklich. Auch die beigefarbenen Hügel, die sich rund um den See erheben, sehen künstlich aus. Keine Menschenseele, keine Fauna und Flora. Der Himmel ist verhangen, aber das Licht ist unheimlich grell. Wir sind am Ende der Welt angelangt.
10.
Monument Valley, Utah/Arizona, April 2012
„Da vorne ist, glaube ich, eine Brücke“, sagt Orlando.
Ich bin richtig erleichtert, als ich die Eisentraversen erblicke. Endlich wieder ein Zeichen von Zivilisation.
Die berühmte Navajo Bridge schält sich aus dem Dunst der verhangenen Sonne.
Ich bleibe kurz vor der Brücke auf dem Parkplatz des Information Centers stehen.
Orlando will ein Foto von mir auf der Brücke schießen.
Meine Höhenangst macht mir, trotz des hohen Maschengitters vor dem Geländer, zu schaffen. Ich wage es kaum, hinunter aufs Wasser zu schauen.
Von hier aus sieht man auch das riesige Kraftwerk auf der anderen Seite der Brücke.
„Das ist bestimmt die Energy Power Station der Navajo, von der Simon gesprochen hat“, sage ich, als wir wieder zu unserem Wagen zurückgehen.
Die Straße verläuft mehr oder weniger parallel zu den Eisenbahnschienen, quer durch das Navajo-Reservat.
Ich erblicke einen Mann, der die Schienen entlangrennt. Ein Hund trottet mit heraushängender Zunge hinter ihm her.
„Schau dir diesen wahnsinnigen Jogger an.“ Orlando hat den Läufer ebenfalls entdeckt.
„Er kann den Zug aus großer Entfernung sehen.“
„Nicht nur sehen, sondern auch hören“, beteuert Orlando. „Die Indianer halten das Ohr an die Schiene und hören so den Zug kommen, auch wenn er noch meilenweit entfernt ist.“
„Behauptete Karl May.“
„Aber es soll stimmen. Glaubst du, das ist ein Indianer?“
„Kann schon sein. Die Navajo leben seit über vierhundert Jahren hier.“
„Hier, wo nichts wächst?“
„Sag das nicht. Außerdem halten sie meist Schafe und Ziegen, und die finden sogar in diesem kargen Land genügend Futter.“
„Meinst du. Schau dir mal an, wie mager die sind.“ Er deutet auf ein paar Schafe am Straßenrand.
„Dieses Navajo-Reservat ist jedenfalls in etwa so groß wie ganz Bayern.“
„Woher weißt du das?“
„Ich bin eben gebildet.“
„Blödsinn.“
„Ich habe unseren Reiseführer gelesen, während du in Vegas shoppen warst. Die Navajo sind für mich das interessanteste Volk hier im Südwesten.“
„Du interessierst dich wegen unseres feschen Detectives für sie. Gib’s zu. Er ist ein halber Navajo, hat er gesagt.“ Obwohl er scherzt, spüre ich, dass es ihm nicht egal ist, ob ich Simon mehr als nur nett finde. Er scheint diesen Mann ins Herz geschlossen zu haben.
„Ach, auf den hab ich fast wieder vergessen“, sage ich leichthin. „Mein Gott, sind die Leute hier arm!“
Mich deprimiert der Anblick von einem halben Dutzend flacher, zum Teil verfallener Lehmziegelhäuser. Die Hütten sind mit löchrigen Strohdächern gedeckt und durch sandige, nicht asphaltierte Wege miteinander verbunden.
„Hier wohnt bestimmt keiner mehr. Sie sind weitergezogen. Zu besseren Weideflächen“, sage ich.
Nach ein paar Meilen sehen wir wieder ein kleines Haus und Stallungen für Schafe am Straßenrand. In einer Ecke des umzäunten Geländes steht das Wrack eines uralten Chevys, das längst keine Räder und Achsen, keine Fensterscheiben und Sitze mehr hat. Zwischen zwei Wohnwägen hängt Wäsche auf einer Leine. Dahinter ein weißes Tipi. Und daneben ein Korral, in dem zwei dürre Klepper stehen und unser Auto beglotzen. Ein paar Schafe fressen die kümmerlichen Grasbüschel unter einem handbemalten Schild, auf dem indianische Decken und Kunsthandwerk angepriesen werden.
Ich bleibe stehen. Will eine rauchen. Im Auto herrscht wegen Orlando striktes Rauchverbot.
„Was für eine Scheiße“, sage ich mit Tränen in den Augen. „Hier sieht es genauso aus wie bei meinen Verwandten in Ungarn.“
„Werd jetzt bloß nicht depressiv, Kafka.“
Verwahrloste Hunde, die bellen und sich gegenseitig beißen, humpeln auf uns zu. Dem einen Köter fehlt ein Vorderbein, dem anderen ein
Weitere Kostenlose Bücher