Blutiger Sand
fürstlichen Frühstück brechen wir zu dem Pueblo auf, das sich ein paar Meilen außerhalb der Stadt befindet. Wenn der zweite Täter tatsächlich ein Indianer oder Mestize ist, hat er vielleicht früher dort gelebt. Carson hatte ausgesagt, dass sein Komplize Jimmy aus der Gegend um Taos kam. Aber wer weiß, ob Jimmy sein richtiger Vorname ist? Außerdem gibt es in Taos bestimmt mehrere Männer mit diesem Namen.
Diese Art von Recherche hätte ich liebend gern der Cold-Case-Abteilung in Las Vegas überlassen. Aber falls das Schwein wirklich in diesem Pueblo gelebt hat, werde ich es heute herausfinden. So gut weiß ich über die indianischen Verwandtschaftsverhältnisse mittlerweile Bescheid. Bei den Indianern funktioniert es ähnlich wie bei uns Roma. Irgendwer ist immer irgendwie mit jemandem verwandt oder versippt.
Wer empfängt uns am Parkplatz vor dem Pueblo?
Mike Logan. Er plaudert mit den jugendlichen Parkwächtern.
Ich muss an Orlandos Worte von gestern Abend denken und begrüße ihn eher reserviert.
„Warum hast du gestern nicht gesagt, dass du auch nach Taos willst?“
„Ich hab auf meinen Wagen warten müssen. Er war in Cortez in einer Werkstatt.“
Dieses schüchterne Lächeln. Ich kann ihm einfach nicht widerstehen, frage ihn, ob er uns den Pueblo zeigen möchte.
Er schüttelt den Kopf.
„Okay, dann gehen wir allein rein“, sage ich zu Orlando. Bin aber leicht irritiert. Verstehe nicht, warum sich Mike so abweisend verhält.
Das bis heute bewohnte Pueblo liegt sehr idyllisch am Fuße eines Berges. Ein Bach fließt quer durch das Dorf. Am Ufer strecken kleine Frühlingsblumen ihre Köpfchen heraus. Am alten Friedhof, gleich neben dem Eingang zum Dorf, stehen die Mandelbäume in voller Blüte.
„Darf man hier fotografieren?“, fragt Orlando.
„Solange du nur die Häuser oder die Umgebung fotografierst, ist es okay. Wenn du die Leute fotografieren willst, solltest du vorher fragen“, sagt Mike.
„Ich will nur ein paar Bilder von dem verfallenen Friedhof machen.“
„Mach schnell, Orlando. Da oben braut sich was zusammen.“ Ich deute auf den Himmel. Über dem Berg, der Taos beschützt, ist er fast schwarz.
„Der erste Eindruck täuscht. Hier herrscht große Armut. Die Leute haben weder Strom noch Fließwasser. Bis heute holen sie das Wasser aus dem Bach“, sagt Mike.
„Wie viele Leute wohnen hier?“
„An die fünfzig, schätze ich. Viele, vor allem die Jungen, leben, zumindest im Winter, in der Stadt.“
Wir lassen Mike bei den Jugendlichen stehen und gehen in das Dorf.
Manche der ärmlichen Häuser haben Türen, andere kann man nur über eine Leiter betreten. Einige Türen stehen offen. Orlando und ich schauen überall neugierig hinein.
In den meisten Häusern bieten die Leute einfachen Schmuck, Erfrischungen, Mokassins oder Keramik an.
Orlando entdeckt ein Schild, auf dem „Atelier“ steht.
Ein älterer Mann kommt aus dem Atelier und betrachtet den rasch dunkler werdenden Himmel.
Wir grüßen ihn freundlich und fragen, ob wir eintreten dürfen.
Stolz zeigt er uns seine komplizierten Installationen. „Ich verwende für meine Objekte ausschließlich Materialien, die ich im Dorf oder im Bach und am heiligen Berg finde“, sagt er.
Ich frage ihn, ob er von hier sei.
Er nickt.
„Mein Name ist Yellow Cloud. Ich bin hier geboren und lebe seit sechzig Jahren in diesem Pueblo. Im Winter wohne ich aber mit meiner Familie lieber in Taos. Ich habe dort eine kleine Galerie.“
Orlando und ich schauen uns an. Wir haben anscheinend ein- und denselben Gedanken.
Nachdem ich die farbenprächtigen Plastiken und Installationen bewundert habe, frage ich den Mann, ob er einen Indianer oder Halbindianer namens Jimmy kenne.
Er schüttelt den Kopf.
„Er wird auch ‚The Snake‘ genannt, soviel ich gehört habe.“
Yellow Cloud blickt zu Boden, scheint nachzudenken.
Sogleich werde ich misstrauisch. Warum muss er erst nachdenken, entweder kennt er einen Mann, der sich so nennt, oder nicht.
„Wie lautet sein indianischer Name?“, fragt er.
Ich hatte bisher noch nicht daran gedacht, dass „The Snake“ auch der indianische Name dieses Serienkillers sein könnte.
„Wahrscheinlich ‚The Snake‘ “, sage ich zögernd.
„Vor vielen Jahren hat eine Zeit lang ein junger Halbindianer bei uns gelebt. Seine Mutter war eine Hopi, hat er zumindest behauptet. Aber er hat sich nicht an unsere Regeln gehalten und wir mussten ihn auffordern, den Pueblo zu verlassen. Ich habe gehört,
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