Blutiger Spessart
gefahren. Dabei muss er heftig gegen einen gefällten Baum geprallt sein. Wir haben das Innere des Fahrzeugs untersucht. Durch den Aufprall waren zwar die Airbags ausgelöst, es war aber keine Spur von Blut zu sehen, die darauf hätte schließen lassen, dass sich Ricardo verletzt hat. Anscheinend hat er sich dann zu Fuß auf den Heimweg gemacht. Wenn er tatsächlich so betrunken war, wie mir die jungen Männer sagten, war das sicher nicht ganz einfach. Möglicherweise hat er aber auch über sein Handy einen Freund angerufen, der ihn dann aufgelesen hat.«
Mit grimmiger Miene hatte Emolino den Bericht seines Vertrauten angehört.
»Der Junge geht mir langsam ganz schön auf die Nerven. Nur Weiber und Alkohol! Wir müssen für den Burschen einen Platz finden, wo er endlich lernt, Verantwortung zu übernehmen!« Der Don war richtig wütend. »Ich werde mit meinem Cousin, Don Roberto Sensantoni, in San Luca sprechen. Er soll den Jungen für ein paar Jahre unter seine Obhut nehmen und ihn ins Geschäft einführen. Don Roberto wird ihm schon die Flausen austreiben. Aber jetzt müssen wir erst mal zusehen, dass wir ihn wieder auftreiben. Inzwischen wird wohl auch der schlimmste Rausch überstanden sein.«
Als Trospanini am Abend noch immer keine Spur von Ricardo gefunden hatte, wurde Emolino langsam unruhig. So lange war der Junge noch nie verschwunden gewesen.
13
Eberhard Brunner betrachtete sein Gegenüber mit kritischem Blick. »Du siehst aus wie ausgespien«, stellte er nüchtern fest und meinte damit die auffallende Blässe und die tiefen Augenschatten von Simon Kerner. »Brütest du irgendeine Krankheit aus oder hast du gestern deinen Ärger ersäuft?«
Kerner winkte ab. »Ich habe heute Nacht verdammt schlecht geschlafen. Dieser Anschlag ist mir ganz schön an die Nieren gegangen. Zum ersten Mal wurde mir so richtig hautnah vor Augen geführt, zu welchen Verbrechen dieser Mafioso fähig ist.« Dann kam er übergangslos zur Sache. »Gibt es irgendwelche neuen Entwicklungen?«
»Neue Entwicklungen möchte ich nicht sagen. Wir haben ihn nicht aus den Augen gelassen. Don Emolino hat sich seit seiner Entlassung nicht mehr großartig aus seinem Bau bewegt. Er pendelte nur zwischen seinem Wohnhaus und dem Eiscafé. Heute Morgen ist dann überraschenderweise eine Polizeistreife ins Eiscafé gekommen. Nachdem dieser Besuch nichts mit uns zu tun hatte, haben wir gleich bei der Einsatzzentrale nachgefragt, was der Anlass war. Die Kollegen waren dort, weil man im Wald zwischen Wiesthal und Partenstein den Ferrari von Ricardo Emolino gefunden hat. Das teure Spielzeug lag beschädigt im Straßengraben, vom Fahrer keine Spur. Nachdem die Streifenpolizisten wieder abgezogen waren, beorderte Emolino gleich seinen Neuen, diesen Trospanini, zu sich. Wir vermuten, dass er den Auftrag erhalten hat, den Sohn zu suchen. Ich habe schon überlegt, ob wir das für uns irgendwie nützen können. Was meinst du dazu?«
Während Brunner sprach, hatte sich Kerner erhoben und war vors Fenster getreten. Dabei wandte er dem Kommissar den Rücken zu. Nur mit eiserner Beherrschung konnte er eine verräterische Reaktion auf diese Information Brunners unterdrücken. Der Kommissar war ein guter Beobachter und hätte eine Schwäche Kerners wahrscheinlich bemerkt.
Dem Oberstaatsanwalt war klar, dass die Polizei natürlich nach dem Jungen suchen würde, wenn sie zur Kenntnis bekam, dass er vermisst wurde. Er musste sich unbedingt besser im Griff haben, wenn der Name Ricardo Emolino fiel!
Der Kampf begann!
»Hallo, Simon, hast du mir zugehört?« Brunner betrachtete verwundert die Kehrseite des Oberstaatsanwalts. Ein solches Verhalten war er von seinem Freund nicht gewöhnt. Er schien völlig abwesend zu sein.
»Entschuldige«, gab Kerner zurück und drehte sich ihm wieder zu, »was hast du gesagt? Ich bin heute wirklich nicht in der besten Verfassung.«
Brunner wiederholte seine Frage.
»Der Junge ist bei unseren Ermittlungen doch nur eine Randfigur«, gab Kerner schließlich zurück. »Wir kennen ja seinen lockeren Lebenswandel. Der taucht schon wieder auf. Konzentrieren wir uns auf den Alten.«
Der Kommissar zuckte mit den Schultern. »Okay, wenn du meinst. Wenn es neue Informationen gibt, werde ich dich auf jeden Fall unterrichten.«
Er erhob sich. »Wenn ich dir einen Rat als Freund geben darf, geh nach Hause und leg dich ins Bett. Du siehst wirklich nicht gut aus.«
Kerner unternahm den Versuch eines Lächelns, dann setzte er sich an
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