Blutiger Spessart
Gummihandschuhe, wie er sie auch sonst aus hygienischen Gründen bei der Bergung von erlegtem Wild benutzte.
Vorsichtig rollte er den Toten in die Bergewanne und achtete dabei darauf, dass er kein weiteres Blut auf seine Kleidung brachte. Eigentlich war diese Vorsicht überflüssig, weil er alles, was er trug, vernichten würde. Aber er konnte nicht aus seiner Haut. Die Kriminaltechnik war heutzutage auf einem Stand, der es ihr ermöglichte, auch geringste Mengen von Genmaterial nachzuweisen. Als er fertig war, zog er die Leiche zu seinem Fahrzeug und wuchtete sie in die Kunststoffwanne des Kofferraums. Die Leichenstarre hatte zum Glück noch nicht eingesetzt. Lange würde es aber nicht mehr dauern.
Was ihn irgendwie erstaunte, war die Tatsache, dass er durch seine Aktivitäten immer ruhiger wurde. Er arbeitete fast wie ein Automat.
Nachdem er Ricardo Emolino verstaut hatte, griff er sich einen Kanister mit Wasser, den er immer mit sich führte, um nach erfolgreicher Jagd die Körperhöhle des ausgenommenen Wildes einer groben Reinigung zu unterziehen. Jetzt benutzte er das Wasser dazu, die Stelle, an der Emolino gelegen hatte, zu übergießen. Das kalte Wasser wusch das Blut und das Erbrochene notdürftig von den Pflanzen in den Untergrund. Das Ergebnis überprüfte er kurz mit der Taschenlampe. Nicht perfekt, aber bei einer flüchtigen Betrachtung war an der Stelle nichts Auffälliges mehr zu sehen. Lediglich die Schleifspur des Bergeschlittens zum Wagen war sichtbar. Er goss auch noch das restliche Wasser darüber. Mit dem Morgentau würde sich das Gras wieder aufrichten. In einem Tag würde man wahrscheinlich nichts mehr sehen.
Anschließend verstaute er den Kanister, zog die blutigen Handschuhe aus und warf sie neben dem Toten in den Kofferraum. Dann entledigte er sich seiner Jacke und seiner Jagdhose, die er ebenfalls im Kofferraum verstaute. Er trug jetzt nur noch seine Unterwäsche. So hinterließ er kein Genmaterial Ricardos in seinem Wagen. Kerner setzte sich hinter das Steuer und wendete den Rover auf dem Weg, anschließend fuhr er den schmalen Feldweg, auf dem er gekommen war, wieder zurück. Das Mondlicht war hell genug, um problemlos die vertraute Umgebung erkennen zu können.
Einige Zeit später erreichte er eine schmale Pflegegasse zwischen zwei Mischbaumkulturen. Die Schutzzäune waren erst vor einigen Wochen entfernt worden, sodass man die Dickung leicht betreten konnte. Kerner wusste, dass es in diesem Bereich immer wieder kleine, lichte Stellen gab, an denen keine Bäume gewachsen waren.
Er stieg aus und zog sich die abgelegte Oberbekleidung wieder an, dann holte er einen Klappspaten aus dem Wagen. Nachdem er sich frische Handschuhe übergezogen hatte, zerrte er Emolino wieder in die Schleppwanne. Da ihm hier zwischen den dicht stehenden Bäumen das Mondlicht nicht half, zog er eine Kopflampe auf, die er gewöhnlich nutzte, wenn er in der Nacht geschossenes Wild ausnahm. Kerner musste sich beeilen, den schwersten Teil der Arbeit hatte er noch vor sich. Die Stelle, die er sich vorgestellt hatte, lag ungefähr sechzig Meter in der Dickung. Er hatte Mühe, den Schlitten mit der Leiche über Wurzeln, Baumstümpfe und loses Astmaterial zu schleppen. Am Ziel angekommen, lief ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Seine Beine zitterten von der ungewohnten Anstrengung. Stechmücken, die in dieser feuchten Umgebung wunderbar gediehen, entdeckten ihn sofort und umschwirrten ihn mit blutgieriger Penetranz.
Der Platz, der Ricardo Emolinos Grab werden sollte, war mit Moos bewachsen. Quer darüber lag ein Stück eines alten, modrigen Eichenstamms, das vermutlich von den Rodungsarbeiten übrig war, die man vor Anpflanzung der Fichtenkultur durchgeführt hatte.
Kerner verlor keine Zeit und begann zu graben. Dabei stellte er mit zusammengebissenen Zähnen fest, dass ein Klappspaten nicht unbedingt geeignet war, ein Grab auszuheben. Der Stil war kurz, das Schaufelblatt klein. Trotzdem musste Kerner damit klarkommen.
Schon nach kurzer Zeit schmerzten seine Rückenmuskeln. Bis er unter dem Eichenstamm ein ausreichend tiefes Loch gegraben hatte, verging mehr als eine Stunde. Keuchend hielt er irgendwann inne. Er konnte nicht mehr. Das Loch war gut knietief, das musste reichen.
Er zog Emolino, der nun langsam steif wurde, in die Grube. In Seitenlage und in die Embryonalstellung gebracht, passte er gerade hinein.
Einen Moment hielt Kerner inne, um Atem zu schöpfen. Plötzlich fühlte er ein schwer
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