Blutiger Spessart
Jetzt ist die Bande ziemlich aufgescheucht. Es könnte interne Machtkämpfe geben. Außerdem sieht es so aus, als gäbe es auch mit den anderen Mafia-Familien Stress. Der Emolino-Klan ist massiv geschwächt. Das sollten wir nutzen.«
»Eberhard, lass es gut sein. Ich freue mich, dass ihr jetzt bessere Ermittlungsmöglichkeiten habt. Ich für meinen Teil habe meine Entscheidung getroffen. Gerade jetzt, wo etwas Luft in den Ermittlungen ist, kann mein Nachfolger leichter installiert werden. Heute in sieben Tagen trete ich in Gemünden den Dienst an. Finde dich bitte damit ab.«
Brunner gab ein unwilliges Brummen von sich, dann beendete er das Gespräch. Dem Oberstaatsanwalt war klar, dass er den Mann, der für ihn ein guter Freund geworden war, schrecklich enttäuschte.
Kerner stützte den Kopf auf die Hände. Der Tod Emolinos nahm zwar etwas den direkten Druck von ihm, trotzdem änderte es nichts an der schrecklichen Tatsache, dass er Ricardo Emolino erschossen und draußen im Wald eingegraben hatte. Ob er sich davon jemals lösen konnte?
27
Don Pietro saß im Würzburger Dom und lauschte der Stille. Der Straßenlärm der Mainmetropole drang nur dann ganz leise in den sakralen Raum, wenn eine der Türen geöffnet wurde und ein Kirchenbesucher eintrat. Wer aus der Tatsache, dass der Pate der Würzburger Mafiafamilie in dieser Kirche saß, schloss, dass er ein gläubiger Mensch war, täuschte sich gewaltig. Pietro Vasselari kannte nur zwei Gottheiten: Macht und Geld, wobei diese oftmals zu einer Einheit verschmolzen. Er besaß in Würzburg mehrere Kaffeebars und zwei Pizzerien. Alles Tarngeschäfte für seine vorgetäuschte bürgerliche Existenz.
Der Alte hatte sich in der Nähe einer Säule niedergelassen, weil er dort nicht sonderlich auffiel. Er genoss die Kühle des Raumes, dessen dicke Wände die Hitze des Hochsommertages ausschlossen. Zehn Minuten später registrierte er den Mann, auf den er wartete. Vasselari hörte ihn nicht kommen. Plötzlich kniete er in der Bank hinter ihm, und er spürte seinen Atem im Nacken. Don Pietro drehte sich nicht um. Er hatte keine Lust, in die kalten, gefühllosen Augen des Mannes zu sehen, dem ein Menschenleben nicht mehr bedeutete als das einer lästigen Stubenfliege. Nicht umsonst nannte man ihn in einschlägigen Kreisen »Il Freddo«, was so viel wie »der Kalte« hieß.
»Warum hört man nichts vom Ableben dieses Emolino? Stattdessen erzählt man sich, dass er sich in die Staaten abgesetzt haben soll. Sie haben die Angelegenheit doch erledigt?«Don Pietro sprach sehr leise. Trotzdem konnte der Mann hinter ihm jedes Wort verstehen.
»Selbstverständlich. Die Ausführung war zwar schwierig, weil plötzlich ein unbekannter, maskierter Mann auf dem Grundstück auftauchte. Ich hatte den Eindruck, dass er Emolino in dessen eigenem Auto entführen wollte. Jedenfalls hat er den Alten und den Fahrer mit einer Waffe bedroht. Nachdem ich geschossen hatte, verließ er kurz danach das Anwesen. Ich blieb noch einen Moment in Deckung, dann wollte ich verschwinden. Als ich jedoch zu meinem Auto lief, rollte bereits ein weiteres Fahrzeug die Auffahrt herauf und passierte das Tor. Ich denke, das war der Consigliere. Da ich wissen wollte, was er unternehmen würde, bin ich zurück und habe wieder meinen Beobachtungsposten eingenommen. Nach einer Stunde wurde ein weiteres Fahrzeug eingelassen. Es war ein Reinigungstrupp, der alle Spuren meiner Tätigkeit beseitigt hat. Sehr gute Männer. Sehr professionell. Sie haben auch den Fahrer mitgenommen.«
Don Pietro ballte eine Faust. »So wie es aussieht, will sich dieser verdammte Trospanini offenbar das Geschäft des Alten unter den Nagel reißen.«
Er überlegte einen Augenblick, dann flüsterte er: »Für heute habe ich keinen Auftrag für dich. Halte dich aber bereit. Ich denke, in Kürze gibt es wieder etwas zu tun.«
Hinter ihm blieb es still. Als er sich halb umdrehte, war der Platz hinter ihm leer.
28
Vier Tage später, an einem Freitag, gab Kerner in der Staatsanwaltschaft Würzburg seinen Ausstand. Zu diesem Zweck hatte er im Sozialraum der Behörde über einen Catering-Service ein Büfett bestellt. Zu dieser internen Verabschiedung hatte er alle Behördenangehörigen und auch die Beamten der Sonderkommission
Spessartblues
eingeladen. Erster Kriminalhauptkommissar Brunner und seine Mitarbeiter waren alle gekommen. Auch wenn Brunner sich mit der Entscheidung Kerners, nach Gemünden zu gehen, überhaupt nicht anfreunden konnte, so
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