Blutiger Spessart
für die Dauer seiner Abwesenheit die Zügel in der Hand. Hast du damit auch etwas zu tun?«
Kerner zog verwundert die Augenbrauen in die Höhe. Diese Aussage bewertete er natürlich aus einem ganz anderen Blickwinkel als der Kriminalbeamte.
»Bedaure, aber als ich gestern das Grundstück verließ, war Emolino noch anwesend.« Diese Aussage war zumindest teilweise zutreffend.
»Wie geht es Steffi?«
»Ich denke, sie wird es ohne Folgen überstehen. Momentan ist sie zu Hause und erholt sich.«
»Ist diese Geschichte der Grund, warum du nach Gemünden gehst?«
»Sicher hat dieser Vorfall meine Entscheidung beeinflusst. Manchmal sind wir Ermittler so nahe am Verbrechen, dass es versucht, uns in seinen Sog zu ziehen. Es ist gut, zwischendurch wieder einmal etwas Abstand zu gewinnen und Strafverfahren von der Seite des Richtertisches zu bewerten.« Er sah Brunner fragend an. »Was wirst du in der Sache unternehmen?«
Der Leiter der Sonderkommission
Spessartblues
sah einen Augenblick nachdenklich zu Boden, dann erwiderte er: »Was du mir gerade erzählt hast, hast du einem Freund anvertraut. Ich glaube dir und deshalb sehe ich keinen Grund, polizeiliche Ermittlungen aufzunehmen. Wenn allerdings der Typ im Krankenhaus zu sich kommt und Anzeige gegen dich erstattet, werde ich wohl gegen dich ermitteln müssen. Aber auch in diesem Fall sehe ich keinen Grund zur Besorgnis. Ich möchte den Richter sehen, der hier ein Strafverfahren eröffnen würde.«
Kerner bedankte sich bei Brunner und brachte ihn zur Türe. Dort verabschiedete sich der Kriminalbeamte.
»Ich wünsche dir viel Glück bei der neuen Aufgabe als Direktor eines Amtsgerichts. Sicher wird dein Leben jetzt in etwas ruhigeren Bahnen verlaufen. Und pass auf Steffi und dich gut auf. Vergiss nicht, du wohnst jetzt im Revier von Don Emolino. Nach allem, was du mir erzählt hast, dürfte er nicht sehr gut auf dich zu sprechen sein.«
Sie gaben sich die Hand, und Brunner verließ das Dienstzimmer. Den Beutel mit den Geschossen hatte er auf dem Schreibtisch zurückgelassen.
29
Am Montag, kurz nach 6.30 Uhr, band Birgit Michels ihre Laufschuhe zu und zog den Reißverschluss ihres Jogginganzugs hoch. Am Wochenende war sie auf einer Grillparty eingeladen gewesen und hatte etwas reichlich zugelangt. Höchste Zeit, dass sie die überflüssigen Kalorien wieder abtrainierte. Birgit Michels war sehr auf ihre Figur und ihre Fitness bedacht. Als ehemalige Miss Spessart und Besitzerin eines Kosmetikgeschäfts in der Gemündener City war das unumgänglich. Außerdem wartete Benno, ihr Mops, schon nervös an der Tür. Entgegen bestehender Vorurteile sind Möpse eine durchaus fidele und lauffreudige Hunderasse.
Mit einem »Benno komm« verließ sie ihr Haus in Partenstein durch den hinteren Ausgang, der zum Garten führte. Sie steckte die Kopfhörer ihres MP3-Players in die Ohren und schaltete die Musik ein. Dann trabte sie nach ein paar Aufwärmübungen los. Ihre übliche Laufstrecke betrug ungefähr sieben Kilometer. Sie führte sie zunächst ein Stück über die Felder, um dann in den Wald einzutauchen. Benno trabte munter ohne Leine mal nebenher, mal voraus.
Nach ungefähr eineinhalb Kilometern nahm der Wald die Läuferin auf. Hier im Forst hielt sie eine bestimmte Route ein. Sie war so gewählt, dass sie durch mehrere Höhenunterschiede körperlich ordentlich gefordert wurde. An bestimmten Stellen machte sie Lockerungs- und Stretchingübungen. Das Schöne an Benno war, dass er sich überhaupt nicht für Wildtiere interessierte. Deshalb konnte man ihn auch im Wald ohne Probleme frei laufen lassen.
Wenig später wich sie vom Waldpfad ab und durchquerte einen Fichtenholzbestand über eine frei geschlagene Holzrückegasse. Das war keine Abkürzung, vielmehr lagen dort Fichtenhölzer quer, was sie zwang, wie ein Pferd über Cavaletti, über niedrige Trainingshindernisse, zu springen. Heftig atmend stieß sie unten wieder auf einen Waldweg. Hier blieb sie stehen und dehnte sich ausgiebig.
Als sie gerade weiterlaufen wollte, vermisste sie Benno. Ihr Hund war anscheinend ein Stück zurückgeblieben. Wahrscheinlich buddelte er sich wieder irgendwo in ein Mausloch hinein und sah danach wie ein Dreckspatz aus. Manchmal hatte sie das Gefühl, Benno bildete sich ein, ein Dackel zu sein. Sie nahm die Kopfhörer aus den Ohren und stieß einen Pfiff aus. Benno folgte normalerweise ziemlich gut. Wie gesagt normalerweise, wenn ihm nicht gerade etwas dazwischenkam. Birgit Michels zog
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