Blutiger Spessart
sämtliche Waffen registriert, die sich im Landkreis legal in Jägerhand befanden.
Nach einer kurzen Begrüßung trug der Kriminalbeamte sein Anliegen vor: »Können Sie mir eine Liste aller Jäger zukommen lassen, die ein Jagdgewehr mit dem Kaliber .35 Whelen besitzen?«
Der Sachbearbeiter überlegte kurz, dann erwiderte er: »Das ist ja was ganz Exotisches. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Liste lang wird. Ich werde mal die Datenbank befragen. Geben Sie mir Ihre E-Mail-Adresse, ich schicke Ihnen das Ergebnis zu.«
Brunner bedankte sich und wandte sich dann dem Papierkram auf seinem Schreibtisch zu. Nachdem man die Sonderkommission personell geschrumpft hatte, musste er auch den lästigen Kleinkram selbst erledigen.
Nach nicht einmal fünfzehn Minuten zeigte sein Rechner mit einem Klingelton den Eingang einer E-Mail an. Brunner öffnete sie gespannt. Was er da zu lesen bekam, verschlug ihm die Sprache. Erst nachdem er die Mail dreimal gelesen hatte, akzeptierte sein Verstand den Sinn der Buchstaben, die da in nüchterner Sachlichkeit einen Namen und eine Adresse benannten: Simon Kerner, Partenstein. Besitzer eines halbautomatischen Jagdgewehrs Marke Remington im Kaliber .35 Whelen. Alles ordnungsgemäß eingetragen in seine Waffenbesitzkarte.
Eberhard Brunner ließ sich in seinen Sessel zurücksinken und blickte zum Fenster hinaus. Nachdem er den ersten Schock überwunden hatte, rief er sich zur Ordnung und zwang sich zu rationalem Denken. Im Augenblick besagte die Auskunft des Landratsamtes nur, dass Kerner über ein solches Jagdgewehr verfügte. Der Übersender der Geschosshülse konnte diese Patrone von weiß Gott woher haben. Das war alles, nur kein schlüssiger Beweis! Das sah ganz nach einem Versuch der Mafia aus, Kerner eine reinzuwürgen. Brunner überlegte, ob er in Gemünden anrufen sollte. Der Polizist in ihm kämpfte mit dem Freund. Er musste daran denken, was Kerner getan hatte, um Steffi aus den Händen der Entführer zu befreien. Hätte man ihn vorher gefragt, ob der Oberstaatsanwalt in der Lage sei, es mit zwei Entführern aufzunehmen, hätte er heftig verneint. Hingegen war Kerner eiskalt vorgegangen: Er hatte seine Freundin befreit, einen der Entführer zusammengeschlagen und den anderen so schwer niedergeschossen, dass er später an den Folgen dieser Verletzung verstorben war. Ob in dem Mann des Rechts vielleicht eine dunkle Existenz steckte, die bei starkem persönlichen Druck dazu neigte, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen?
Brunner ging zum Automaten und holte sich eine Tasse Kaffee. Eine ganze Stunde grübelte er über einer Akte und kam keinen Schritt weiter. Er wusste gar nicht, wie oft er das aufgeschlagene Vernehmungsprotokoll schon gelesen hatte, ohne den eigentlichen Inhalt zu erfassen. Die Möglichkeiten, die sich aus der Auskunft des Landratsamtes ergaben, beschäftigten ihn und ließen keine anderen Gedankengänge zu.
Irgendwann läutete das Telefon. Ein Kollege der kriminaltechnischen Untersuchungsabteilung war dran.
»Kollege Brunner, es wäre sehr hilfreich, wenn wir für die Untersuchung die Waffe hätten, aus der geschossen wurde. Ist das möglich? Die Patronenhülse zeigt eine Besonderheit auf, die wir nur mithilfe einer Vergleichspatrone zuordnen können.«
Diese Forderung des Technikers löste bei Brunner eine Entscheidung aus.
»Im Augenblick haben wir das Gewehr noch nicht, aber ich werde es besorgen«, erklärte er.
Zehn Minuten später stieg er in ein ziviles Dienstfahrzeug und machte sich auf den Weg nach Gemünden. Für den Kriminalbeamten war es wirklich ein schwerer Weg.
Eine dreiviertel Stunde später parkte er seinen Wagen auf dem Behördenparkplatz des Amtsgerichts. Er betrat das Foyer und sah sich mit zwei Justizwachtmeistern konfrontiert, die ihn höflich, aber bestimmt baten, durch eine Sicherheitsschleuse zu treten. Um die Sache abzukürzen, griff er in die Tasche und holte seinen Dienstausweis heraus.
»Ich muss Direktor Kerner sprechen.«
»Sind Sie bewaffnet?«, wollte der größere der beiden Beamten wissen.
Brunner schlug statt einer Antwort seine Lederjacke zurück und ließ sie seine Dienstwaffe sehen.
»Geht in Ordnung«, gab der Beamte zurück. »Herr Kerner ist aber in einer Sitzung. Er verhandelt heute eine Schöffensache. Es geht um schwere Körperverletzung. Wenn Sie ihn dringend sprechen müssen, setzen Sie sich am besten vor den Sitzungssaal 1. Sicher gibt es zwischendurch mal eine Pause.«
Brunner bedankte sich und
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