Blutiger Spessart
Simon, du gehst doch bei Partenstein auf die Jagd. Wer ist denn der Jagdpächter, in dessen Gebiet diese Waldabteilung ›Eichenweiher‹ liegt, in der wir Ricardo Emolino gefunden haben?«
Am anderen Ende der Leitung war es einen Moment still, dann kam Kerners verhaltene Antwort: »Der Eichenweiher liegt in meinem Jagdrevier.«
Brunner stutzte, dann erwiderte er erstaunt: »Das gibt es doch nicht. Da bist du vielleicht schon ein paar Mal an dem Grab vorbeigekommen. Der Zufall schlägt schon manchmal die wildesten Kapriolen.«
»Stimmt«, gab Kerner wortkarg zurück.
»Na ja, demnächst wird der Staatsanwalt die Leiche freigeben. Sicher wird der alte Emolino dann aus dem Ausland zurückkommen, um seinen Sohn zu beerdigen. Hoffentlich bekommen wir jetzt keinen Mafiakrieg. Emolino wird Rache nehmen. Ehrlich gesagt, in der Haut dessen, der den Tod des Jungen zu verantworten hat, möchte ich nicht stecken.«
Brunner hatte keine Ahnung, was er mit seinen Worten bei Kerner auslöste. Dem ehemaligen Oberstaatsanwalt trieb es den Schweiß auf die Stirn. Er hatte gestern Abend lange darüber nachgedacht, wie er sich verhalten sollte, wenn Brunner ihn darauf ansprach. Es gab offensichtlich im Augenblick keinerlei Beweise, die auf seine Person hindeuteten. Daher hatte er sich entschlossen, vorerst zu schweigen und die Entwicklung abzuwarten. Es war jetzt egal, wann seine Täterschaft ans Licht kam. Er hatte einen Menschen erschossen und es verschwiegen – und die Leiche sogar noch verscharrt.
Emolino lebte zwar nicht mehr, aber seine Familie existierte weiter. In Gedanken hörte er Emolinos giftige Stimme: »Du bist tot!«
32
Trospanini war klar, dass er jetzt etwas unternehmen musste. Mit dem Fund von Ricardos Leiche ergab sich die Notwendigkeit, auch den alten Emolino offiziell sterben zu lassen. Es wäre der Familie nicht zu vermitteln gewesen, dass der Pate nicht zur Beerdigung seines Sohnes kommt.
Der Consigliere hatte gute Verbindungen in die USA. Nach kurzem Überlegen griff er zum abhörsicheren Telefon und rief jenseits des großen Teiches eine bestimmte Nummer an. Das Gespräch dauerte fast zwanzig Minuten.
Zwei Tage später traf den Emolino-Klan ein weiterer Schicksalsschlag. Aus den Vereinigten Staaten kam die Meldung, dass bei einem Flug von Chicago nach Denver eine Cessna aus unerfindlichen Gründen abgestürzt sei. An Bord war, neben dem Piloten, Francesco Emolino. Die Maschine brannte fast vollständig aus. Allerdings fand man in einem unverbrannten Teil des Flugzeugs einen weitgehend verschont gebliebenen Aktenkoffer, der Emolinos Papiere enthielt. Was darüber hinaus ein echtes Rätsel war: Man fand in den Trümmern nur eine Leiche, nämlich die von Francesco Emolino. Vom Piloten weit und breit keine Spur. Alle Hinweise auf den Flugzeugführer verliefen im Sand. Die Flugaufsicht, die den Absturz untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass an Bord während des Fluges ein Brand ausgebrochen sein musste, der letztlich zum Absturz führte. Der Pilot schien sich durch einen Fallschirmsprung gerettet zu haben. Nach ihm wurde gefahndet.
Das Schicksal hatte den Emolino-Klan hart getroffen. Zuerst der Sohn, dann der Vater. Damit war die Führungsriege der Emolinofamilie praktisch ausgelöscht, und Trospanini konnte das Regiment übernehmen.
Als Trospanini die Nachricht per Fax erhielt, lehnte er sich im Sessel des abgestürzten Paten entspannt zurück. Manchmal musste man im Leben nur warten können, dann fiel einem der Erfolg wie eine reife Frucht in den Schoß. Auf seine amerikanischen Verbindungen war Verlass, das würde er sich merken.
Während er noch in Machtfantasien schwelgte, fiel ihm Don Pietro ein. Der Alte konnte ihm gefährlich werden. Wenn er vom Tod des Alten erfuhr, würde das bei ihm mit Sicherheit Begehrlichkeiten auf Emolinos Gebiet wecken. Er griff zum Telefon und rief einige Männer an, denen er befahl, ihm sofort zu melden, wenn im Emolino-Gebiet irgendwelche Aktivitäten von Pietros Männern zu bemerken wären.
Trospanini stand auf und sah zum Fenster hinaus. Schließlich fasste er einen Entschluss. Die Zeit war gekommen, Nägel mit Köpfen machen. Kurz entschlossen rief er Schmitts Nummer an. Auf dessen Mailbox hinterließ er eine kurze Nachricht, wonach er ihn gerne am bekannten Treffpunkt gesprochen hätte. Er hatte für den Sprenger einen Großauftrag, einen Rundumschlag, der im Ergebnis klare Verhältnisse schaffen würde.
Brunner hörte von dem Flugzeugabsturz in den Vereinigten
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