Blutiger Spessart
Staaten über die Medien. Im Internet kam eine entsprechende Meldung, die dem Leiter der Sonderkommission
Spessartblues
die Sprache verschlug. Zuerst der Sohn und jetzt der Vater. Die Umstände des Flugzeugabsturzes waren ja mehr als verdächtig. Kein Pilot in der Maschine, das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen! Das roch gewaltig nach Krieg zwischen verfeindeten Mafiafamilien. Aber egal, wenn diese Nachricht stimmte, mussten die Ermittlungen gegen Emolino eingestellt werden. Die Sonderkommission war damit überflüssig und konnte eigentlich aufgelöst werden. Jetzt kam es darauf an, wer sich an Emolinos Stelle an die Spitze der Familie setzen würde. Er tippte auf Trospanini, da Emolinos Sohn auch nicht mehr am Leben war. Dem Consigliere kam die Entwicklung sicher sehr gelegen. Es gab nach Brunners Ansicht nur einen gefährlichen Konkurrenten, der Trospanini die Führung streitig machen konnte: Pietro Vasselari, der Würzburger Pate. Hoffentlich kam es zu keinem Bandenkrieg.
Brunner setzte sich ans Telefon und verabredete für den späten Vormittag mit Kerners Nachfolger in der Staatsanwaltschaft Würzburg einen Besprechungstermin. Es galt, die Frage zu klären, ob man nun auch gegen Trospanini ermitteln sollte.
Während Brunner in der Staatsanwaltschaft war, legte ihm eine Sekretärin eine Notiz auf den Schreibtisch. Sie enthielt die Mitteilung, dass der im Koma liegende Michele Riccardino am frühen Vormittag verstorben war, ohne noch einmal das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
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Fünf Wochen später
Kerner bereitete die Tatsache, dass der von ihm angeschossene Entführer an seinen Verletzungen gestorben war, keine besonderen Bauchschmerzen. Brunner hatte beschlossen, die Angelegenheit nicht zu verfolgen. Das war zwar grundsätzlich ein Verstoß gegen seine Dienstpflicht, aber dieses Ermittlungsverfahren wäre sowieso einzustellen gewesen, da es keine Zeugen gab und man allein aufgrund Kerners Aussage hätte entscheiden müssen.
Kerners neue Aufgabe als Direktor eines Amtsgerichts hielt ihn ziemlich auf Trab, sodass er immer seltener Zeit fand, um über den Schandfleck auf seiner weißen Weste, Ricardo Emolino, nachzudenken. Hinzu kam, dass der Präsident des Oberlandesgerichts in Bamberg beschlossen hatte, den Termin seiner offiziellen Amtseinführung sechs Wochen nach seinem Dienstantritt zu terminieren. Das war in einer guten Woche. Für diese Feier, zu der neben dem Präsidenten des Oberlandesgerichts und der Präsidentin des Landgerichts in Würzburg zahlreiche Prominenz aus Politik, Kirche und Verwaltung sowie die Presse und alle Behördenmitarbeiter eingeladen worden waren, gab es reichlich Organisatorisches zu erledigen. Insgesamt wurde mit deutlich über hundert Gästen gerechnet. Der Festakt sollte in der Aula der Schule der Kreuzschwestern stattfinden, einem Kloster hoch über den Häusern der Stadt Gemünden.
Steffi ging es wieder einigermaßen gut. Sie war zwar bei einer Psychotherapeutin in Behandlung, um die traumatischen Erlebnisse der Entführung zu verarbeiten, aber die Therapie half. Beim Festakt würde sie als weibliche Begleitung an der Seite Kerners auftreten.
Es war sieben Tage vor dem Festakt. Kerner hatte mit Steffi im Wohnzimmer gemütlich einige Gläser Silvaner genossen, dann waren sie zu Bett gegangen. Irgendwann in der Nacht klingelte das Telefon. Kerner schreckte hoch und sah auf die Uhr. Kurz vor drei. Früher, als Staatsanwalt, hatte er häufiger zu den unmöglichsten Zeiten Anrufe erhalten, meist von den Ermittlern der Sonderkommission. Jetzt, da er Richter war, gab es dafür kaum noch eine Notwendigkeit.
Kerner erhob sich, nahm ab und meldete sich. Zunächst war nur ein kratzendes atmosphärisches Rauschen zu hören, dann sagte eine leise Stimme, die aber trotzdem gut verständlich war, nur drei Worte: »Du bist tot!« Danach wurde aufgelegt.
Steffi, die einen leichten Schlaf hatte und aufgewacht war, hatte das Nachttischlicht angemacht. Obwohl sie verschlafen war, sah sie ihrem Freund die Betroffenheit an, die der Anruf bei ihm ausgelöst hatte.
»War es etwas Unangenehmes?«, fragte sie.
Kerner riss sich zusammen.
»Ach, nur so ein Irrer, der blöde ins Telefon gegrölt hat.« Er konnte Steffi bei ihrem immer noch sehr fragilen Gesundheitszustand unmöglich die Wahrheit sagen. Er legte sich wieder zu ihr und nahm sie in den Arm.
Als Steffi schon lange wieder tief und fest neben ihm schlief, lag er noch immer wach und starrte auf das bizarre Muster, das
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