Blutiger Spessart
Laufpass geben.
Dem ersten Glas folgten noch drei weitere. Er wusste nicht, warum er sich nicht gleich eine Kugel gab. Dann wäre alles vorbei. Ein letztes Aufbäumen seines Stolzes hinderte ihn daran, der Mafia diesen Triumph zu verschaffen.
Schließlich sank er seitlich auf die Couch und schlief ein.
So fand ihn Steffi am späten Nachmittag vor, als sie von der Arbeit nach Hause kam. Erschrocken weckte sie ihn auf und fragte, was los sei. Kerner winkte nur ab, murmelte etwas von einem verdammten Feigling und ließ sie stehen. Als sie wenig später nach ihm sah, lag er angekleidet quer über seinem Bett und schnarchte. Bedrückt verließ sie das Haus und fuhr in ihre eigene Wohnung. Sie konnte sich Kerners Verhalten, das in der letzten Zeit seine erheblichen Stimmungsschwankungen widerspiegelte, nicht erklären und litt sehr darunter.
In der Nacht wurde Kerner vom penetranten Läuten des Telefons geweckt. Es dauerte geraume Zeit, ehe er sich zurechtfand. Mühsam stand er auf. In seinem Kopf hämmerte das Blut und versuchte, ihm den Schädel zu sprengen. Sein Mund war trocken, und seine Zunge fühlte sich wie Sandpapier an. Als er aufrecht stand, wurde er von einem heftigen Schwindelanfall ergriffen, der ihn fast wieder aufs Bett geworfen hätte. Er hielt sich am Fensterbrett fest, bis der Anfall vorüber war, dann marschierte er tapsig durch die Dunkelheit in Richtung Telefon. Der Anrufer hatte noch nicht aufgegeben.
Kerner hob ab und meldete sich brummig. Zunächst war nur das Rauschen der Verbindung zu hören, dann hörte er wieder die Stimme, die schlagartig alle Nebel lichtete, die um sein Gehirn waberten: »Du bist tot.« Der Mann am anderen Ende sprach langsam und deutlich. Dann wurde die Verbindung unterbrochen.
»Verdammtes Arschloch!«, brüllte Kerner aufbrausend und warf den schnurlosen Telefonhörer wütend auf den Boden. Mit einem knackenden Geräusch löste sich der Rückenteil des Geräts, und der Akku rutschte über den Boden.
Kerner erschien dieser Vorgang irgendwie symptomatisch für seine Zukunft. Sein ganzes Leben flog ihm um die Ohren. Das war für ihn nicht länger zu ertragen. Morgen früh hatte er zwei Strafsitzungen, anschließend würde er zu Brunner nach Würzburg fahren und sich selbst anzeigen. Danach würde er die Präsidentin des Landgerichts informieren und sie um Aufhebung des Festakts zu seiner Amtseinführung bitten.
34
Brunner war gerade dabei, im Büro sein Mittagessen in Form eines Leberkäswecks zu verzehren, als Kerner zur Tür hereinkam. Der Kriminalbeamte sah seinen Freund mit erstauntem Blick an. Wie sah Simon nur aus? Man konnte den Eindruck gewinnen, als hätte er die ganze Nacht durchgezecht. Er trug einen Dreitagebart, und unter den Augen lagen tiefe Schatten. Keine Spur mehr von dem einstmals so korrekten, gutaussehenden, agilen Staatsanwalt.
»Grüß dich, Simon«, rief Brunner, ging ihm einige Schritte entgegen und gab ihm die Hand. Dabei hatte er das Gefühl, als würde Kerner nach Alkohol riechen.
»Du hast wohl Heimweh nach der Sonderkommission
Spessartblues
? Komm setzt dich!« Er schob ihm einen Stuhl zu. »Darf ich dir einen Kaffee anbieten?«
Kerner nickte zögernd.
Während Brunner seinem Freund eine Tasse mit dem schwarzen Gebräu einschenkte, fragte er: »Simon, was kann ich für dich tun? Ich denke, dass du nicht nur zum Kaffeetrinken hergekommen bist.«
Kerner schüttelte den Kopf und rührte langsam den Zucker in der Tasse um.
»Eberhard, mir brennt schon längere Zeit etwas auf der Seele, das ich jetzt einfach loswerden muss.«
Brunner setzte sich ihm gegenüber und schenkte sich auch einen Kaffee ein. Aufmerksam sah er seinen Freund an. »Lass es einfach raus. Du weißt, bei mir ist es gut aufgehoben.«
Kerner wollte gerade anfangen zu sprechen, als es an der Türe klopfte. Brunner warf ihm einen entschuldigenden Blick zu, dann rief er »Herein«.
Es war seine Kollegin Rettig, die Kerner einen erstaunten Blick zuwarf, ehe sie ihn dann freundlich begrüßte.
»Das hier ist das Untersuchungsergebnis der Kriminaltechnik, auf das du wartest«, erklärte sie und legte ihrem Kollegen ein Blatt auf den Schreibtisch.
Der Leiter der Sonderkommission bedankte sich bei der Kollegin und nahm das mit Computer beschriebene Blatt in die Hand.
»Simon, eine Sekunde«, sagte er, »vielleicht interessiert dich das auch. Das ist das Resultat der Untersuchung deines Gewehrs.«
Kerner nickte wortlos und ließ resignierend die Schultern
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