Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
es erst, wenn er oben angekommen ist. Den Höhlenbären wollten sie bestimmt nicht besuchen, so ein Fell kann man in jeder Stadt kaufen. Findest du nicht auch, wir sollten herausfinden, was sie wollen?«
Wie immer bekam er keine Antwort.
Schnell hatte Mogda den Gipfelrand erreicht. Vor ihm klaffte eine Spalte, die das Tauwasser ausgespült hatte und bis auf den zehn Fuß darunterliegenden schmalen Gebirgspfad reichte. Mogda stützte sich mit Armen und Beinen an den Felswänden ab und ließ sich langsam hinunter.
Der Pfad war kaum breiter als die engsten Gassen in den Städten der Hüttenbauer und erlaubte es somit auch nicht, dass ein Oger sich hier frei bewegen konnte. Schlimmer noch, vorstehende Felsen zwangen Mogda oft, seinen Oberkörper weit über den steilen Abhang zu beugen und eine Aussicht zu genießen, auf die er lieber verzichtet hätte. Dicht an die Felswand gedrückt, tastete er sich Schritt für Schritt vorwärts. Vereiste Vorsprünge, loses Geröll und kleinere Schneeverwehungen machten sein Vorankommen mühsam und gefährlich.
Nur selten benutzte er diesen Weg, da Akrobatik nicht gerade eines seiner Steckenpferde war. Wenn er hinabstieg, um zu jagen, dann meist über das Plateau im Westen. Dort verwehrte zwar eine breite Schlucht den Zugang zu seinem Gipfel, doch der Stamm eines umgestürzten Baumes ermöglichte ihm die Überquerung. Bäume wuchsen in dieser hoch gelegenen Region eigentlich nicht, aber Mogda nahm den Fund des Stammes als Zeichen der Götter. Oder als Geschenk einer Horde Oger, die es leid gewesen war, einen sechzig Fuß langen Eichenstamm durch die Berge zu schleppen. Es war müßig, darüber nachzudenken, warum die Dinge so waren, wie sie waren. Mogda hatte aufgehört, sich solche Gedanken zu machen, als die Götter sich von allem Leben in Nelbor abgewandt hatten und er dafür bei sich die Schuld suchte.
Unter dem Gewicht des Ogers löste sich plötzlich eine breite Gesteinsplatte aus dem Massiv und rutschte in die Tiefe. Reflexartig schlug Mogda die Spitzhacke in die Felswand neben sich. Die Spitze bohrte sich tief in eine Eisschicht und gab dem Oger genug Halt, um nicht auch abzurutschen. Dieses schieferartige Material war tückisch. Feuchtigkeit drang in das Gestein ein, und sobald es wieder fror, brachen die Schichten auseinander und verloren den Halt. Mogda griff mit einer Hand in eine enge Spalte, mit der anderen umklammerte er den Stiel des Werkzeuges. Er brauchte einen Augenblick, um wieder Luft zu schnappen. Regungslos verharrte er und starrte in die Tiefe.
»Kein Pfund habe ich zugenommen«, keuchte er. »Das sind die Berge, sie sind alt und marode. Irgendjemand sollte sich mal darum kümmern. Wo steckt nur dieser Zwergengott, der dafür zuständig ist? Wenn er sich nicht bald blicken lässt, gibt es keine Berge mehr.«
Mogda holte noch einmal tief Luft und schrie seinen Unmut heraus: »Hörst du, Grothak, ich trampele auf deinem Lieblingsberg herum und muss feststellen, dass er nichts taugt. Komm lieber schnell zurück, sonst bist du nur noch der Gott eines Geröllhaufens und einer Menge Staub. Dann wirst du ständig von Wind und Wasser umhergescheucht, und abends lasse ich dich aus meinen Sandalen rieseln.«
Mogda fasste sich ein Herz und setzte seinen Weg fort. Nach einiger Anstrengung gelang es ihm, die Spitzhacke wieder aus dem Eis zu lösen. Hier oben war dieses Zwergenwerkzeug wichtiger als eine Waffe, und es war nicht das erste Mal, dass es ihm den nötigen Halt verschafft hatte.
Der Pfad schlängelte sich an der östlichen Flanke des Berges entlang bis hinunter zu dessen Fuß. Je weiter man nach unten kam, desto breiter wurde der Weg, und auch die Kälte ließ nach. Mogda erreichte den ersten größeren Vorsprung, der es ihm gestattete, nach den übrigen Fremden Ausschau zu halten. Doch noch bevor er einen Fuß auf den Felsvorsprung setzen konnte, verfing sich sein Hemd und hielt ihn zurück. Irgendetwas stach aus der Felswand hervor und hatte sich in seinem Ärmel verheddert.
Normalerweise war Mogda nicht sonderlich zimperlich mit seiner Kleidung, aber die Kälte hier oben und sein Unvermögen in Sachen Nähkunst hinderten ihn daran, sich einfach loszureißen. Es war schlimm genug, als Einsiedler auf dem Gipfel eines Berges zu leben. Wenn ihn nun auch noch jemand mit freiem Oberkörper durch die Eiseskälte stapfen sah, würde es schwierig werden, dem Beobachter zu erklären, dass er, Mogda, nicht verrückt war.
Vorsichtig löste der Oger den Ärmel,
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