Blutiges Eis
Verdacht, in Gewalttaten verwickelt zu sein. Doch er war inzwischen der führende Mann der Nachrichtenzelle – des Kontaktbüros, wenn Sie so wollen. Er musste mit den anderen Zellen in Verbindung stehen. Also hatte ich zwei Aufträge: das Vertrauen von Claude Hibert zu gewinnen und mich an die Spitze meiner eigenen Zelle zu setzen.
Um als die Führerin einer Zelle zu überzeugen, musste ich natürlich in der Lage sein, Sachen in die Luft zu sprengen und Kommuniqués herauszugeben. Ich bat Hibert, mir Dynamit zu besorgen. Er lehnte ab. ›Du bist noch nicht so weit‹, sagte er. Ich bat ihn um den Briefkopf der FLQ. Wir fanden nie heraus, wo sie ihn herstellen ließen. Er hatte ein Wasserzeichen, das von oben bis unten über das ganze Blatt reichte – eine Darstellung von einem Patrioten mit einer Pfeife zwischen den Zähnen und einem Gewehr in der Hand. Die Leute von CAT lechzten danach, durch mich endlich das echte Papier in die Finger zu bekommen. Damals verstand ich nicht recht, wieso.
Aber ich nervte Hibert weiter mit Sprengstoff und Briefkopf. Und er sagte immer nur, ich will sehen, was ich machen kann. Fougère hatte es zunehmend satt. Dann lud er mich eines Abends – wie aus heiterem Himmel – in ein ganz besonderes Restaurant ein, Ma Bourgogne, das beste Restaurant in der ganzen Stadt. Normalerweise ging so etwas nicht, da wir nicht riskieren konnten, zusammen gesehen zu werden. Doch Jean-Paul scheute keine Mühen; wir hatten Gott weiß wie viele Männer im Rücken und draußen rund um das Restaurant, die uns bewachten. Er schmeichelte meinem Ego, indem er mir zeigte, wie wertvoll ich für das Kommando war, und außerdem kam ihm das romantische Flair gelegen.
Es war ihm nicht entgangen, dass ich verrückt nach ihm war – ich tat das alles mindestens so sehr für ihn wie für Quebec. Ich liebte ihn bedingungslos. Und er begann den Abend, schon beim Aperitif, indem er mir sagte, wie sehr er mich anbetete. Er hielt meine Hand und sah mir in die Augen. Ich konnte darin nichts anderes entdecken als grenzenlose Verehrung. Ich hab doch wahrhaftig gedacht, er würde mir einen Antrag machen. Ha!«
Der Ausruf ging in einen Hustenanfall über, der die gebrechliche Gestalt schüttelte. Dann endete der Husten in Keuchen und Schniefen. Kleenex war vonnöten, ebenso ein volles Glas, eine neue Zigarette.
»Wir hatten unser Dinner. Ein phantastisches Dinner: Hummercremesuppe, gefolgt von Rinderlende Chateaubriand. Und natürlich Champagner. Und danach Armagnac. Bis heute bin ich überzeugt, das war das beste Essen in meinem ganzen Leben. Und dann, nach dem Brandy, nimmt Jean-Paul meine Hand. Sein Gesicht ist sehr ernst, und ich begreife, dass er etwas sagen wird, das mein Leben verändert. ›Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, Simone, es ist so schwer für mich‹, sagte er. ›Du hast schon so viel getan. Mein Gott, du setzt jeden Tag dein Leben aufs Spiel. Aber, Simone, wir müssen wissen, wie weit du im Ernstfall gehen würdest, um deine Ideale zu verwirklichen.‹
›Aber du hast doch wohl gesehen, wie weit ich dafür gehe‹, sagte ich. ›Du siehst es jeden Tag. Was soll ich denn noch tun? Jemanden umbringen?‹
Er schüttelt den Kopf. ›Nein‹, sagt er, und seine Stimme zittert ein wenig.
Jetzt hatte ich richtig Angst. Ich wusste nicht, was er sagen würde, aber mein Magen wusste es, denn er drehte sich mir um. Auf einmal schien die Hummercremesuppe keine so gute Idee mehr. Mein Herz hörte zu schlagen auf. Mir brach der Schweiß aus allen Poren. Ich stellte mein Glas auf den Tisch.Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. ›Du willst, dass ich jemanden ficke‹, sagte ich.
›Du sollst auf keinen Fall etwas tun, was zu viel für dich ist‹, fügte er hastig hinzu. ›Das liegt natürlich ganz und gar bei dir. Aber wir haben den Eindruck, dass Hibert sich einfach kein Stück mehr bewegt, und wir brauchen etwas, das uns, hm, aus der Sackgasse hilft.‹
Ich konnte ihm immer noch nicht ins Gesicht sehen. Ich lehnte mich nur nach vorn und schaukelte, die Arme verschränkt, irgendwie vor und zurück.
›Geht’s dir nicht gut?‹, fragte er. Können Sie sich das vorstellen? Ob’s mir nicht gut ging, wollte er wissen. Er wiederholte die Frage wer weiß wie oft. Geht’s dir nicht gut? Geht’s dir nicht gut? Mein Gott! Wie konnte er das fragen? Ob’s mir nicht gut ging.
Ich antwortete, mir fehle nichts.
›Wirst du es tun?‹
›Wenn du willst, dass ich es tue.‹ Während ich das sagte, sah ich
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