Blutiges Eis
gleich zur Sache zu kommen. »Corporal Simmons, ich weiß, dass Sie bei der RCMP in Sudbury sind. Was machen Sie um diese Jahreszeit hier unten in Mattawa?«
»Ich hab einen Anruf von der örtlichen Polizei erhalten, es habe einen Einbruch gegeben. Es gab hier draußen offenbar eine ganze Serie.«
»Aber das Cottage sieht makellos aus.«
»Sie sind nur ins Bootshaus eingebrochen. Haben einen zweimotorigen 95er Mercedes-Außenborder mitgehen lassen.«
»Und wo waren Sie letzte Nacht?«
»Letzte Nacht? Ich war die ganze Zeit hier. Wieso?«
»Die ganze Zeit? Was haben Sie gemacht?«
»Das Schlafzimmer angestrichen. Ich dachte, wenn ich schon mal hier draußen bin, kann ich mich auch drum kümmern. Hab den größten Teil des Abends dazu gebraucht.Dann hab ich mir das Ende des Hockeyspiels angesehen. Hat das was mit einer Ermittlung zu tun?«
»Wer hat gewonnen?«
Als Mountie war es der Corporal zweifellos eher gewöhnt, Fragen zu stellen, als sie zu beantworten. Die Frage schien ihn durcheinander zu bringen, er machte für einen Moment den Mund auf, dann wieder zu und sah zur Seite.
»Das Spiel«, fasste Delorme nach. »Sie sagen, Sie haben sich das Hockeyspiel angesehen.«
»Detroit hat gewonnen. Fünf zu vier.«
Das war zwar richtig, wie Delorme wusste, doch es war die Art Alibi, die sich Schuldige andauernd zurechtlegten. »Sind Sie sicher, dass Sie nicht Winter Cates einen Besuch abgestattet haben?«
»Winter einen Besuch abgestattet? Nein, hab ich nicht. Ich war tagsüber bei ihr.«
»Ja, ich weiß. Und Sie haben sich mit ihr gestritten.«
»Ich habe mich mit ihr unterhalten. Hören Sie, Detective, Sie schnüffeln da in meinem Privatleben herum. Woher wissen Sie überhaupt von mir und Winter? Was soll das alles?«
»Ein Zeuge sagt zumindest, dass Sie beide mit deutlich erhobener Stimme gesprochen haben. Wütend. Wollen Sie das abstreiten?«
»Winter hat sich darüber geärgert, dass ich in ihre Praxis gekommen bin.«
»Aber Ihnen blieb nichts anderes übrig, nicht wahr? Sie ließ Ihnen keine andere Wahl. Sie hat nie zurückgerufen.«
Simmons’ Gesichtsausdruck wechselte von aufkeimendem Zorn zu Furcht. »Ist Winter etwas zugestoßen? Ist sie verletzt?«
»Das wüsste ich gerne von Ihnen, Mr. Simmons.«
»Ich hab keine Ahnung, wovon Sie reden. Sagen Sie schon, ist mit Winter alles okay?«
»Winter Cates wird seit gestern Abend vermisst. Niemandhat sie mehr gesehen, weder die Kollegen im Krankenhaus noch ihre Patienten noch ihre Eltern.«
»Sie ist Ärztin, wissen Sie, vielleicht wurde sie zu einem Notfall gerufen.«
»Was für ein Notfall soll das wohl sein? Ihr Wagen steht noch zu Hause.«
Simmons schien zusammenzuzucken, als er begriff.
»›Du gibst mir das Gefühl, betteln zu müssen‹«, zitierte Delorme aus dem Gedächtnis. »›Du behandelst mich schlimmer, als ich einen Wildfremden behandeln würde.‹ Ganz schön starke Wortwahl, finden Sie nicht?«
Simmons’ Gesicht wurde puterrot. Delorme hatte den Eindruck, dass es nicht aus Verlegenheit war.
»Wollen Sie damit sagen, dass ich Winter etwas antun könnte?«
»Wo ist sie, Corporal Simmons? Ich glaube, dass Sie vielleicht noch einmal unangemeldet aufgekreuzt sind. Scheint eine Gewohnheit von Ihnen zu sein. Sie hat Ihre Anrufe nicht beantwortet, sie hat Sie aus ihrer Praxis geworfen, und Sie wollten dafür sorgen, dass sie Ihnen einmal zuhört. Für sie ist es vorbei, und Sie können es einfach nicht akzeptieren.«
»Wofür halten Sie sich eigentlich?«, sagte Simmons. »Sie wissen rein gar nichts von mir.«
»Wo ist sie, Mr. Simmons?«
Er war ein kleiner Mann, der vermutlich nur so gerade eben die Mindestgröße bei der RCMP erreicht hatte, doch er packte den Tisch in einer plötzlichen Bewegung und warf ihn so heftig um, dass er nicht auf der Seite landete, sondern mit der Platte nach unten, die Löwentatzen in die Luft gestreckt.
»Immer mit der Ruhe«, sagte Delorme, mehr aus der Fassung gebracht, als sie sich anmerken ließ. »Beantworten Sie nur die Frage.«
»Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?«, sagte Simmons noch einmal. »Ein kleines französisches Miststück, dasdirekt von der Farm gehüpft ist. So sind Sie doch an Ihren Job gekommen, oder? Der alte bilinguale Freischein. Verraten Sie mir was: Wie haben Sie unten in Aylmer eigentlich beim Mann-zu-Mann-Training abgeschnitten, heh?«
»Wir reden hier nicht von mir, Mr. Simmons. Ihre Freundin wird vermisst. Ehemalige Freundin. Und Sie haben kein
Weitere Kostenlose Bücher