Blutiges Eis
gegenüber der früheren Zentrale dar mit ihren verbeulten Aktenschränken und Gerüchen nach Rauch, Schweiß und anderen, weniger appetitlichen Dingen. Doch Cardinal hegte keinen Zweifel, dass Squier mit seinem Boy-Scout-Lächeln und seinen viel zu vielen Zähnen im vornehmsten Büro arbeitete, das ein Bundesbudget – ein verdecktes obendrein – sich leisten konnte.
»Hey, nettes Büro haben Sie hier«, sagte Squier. Er machte eine ausladende Bewegung über die Schreibtische, Raumteiler, Fensterfront, die Plastikverkleidung an der Decke. Delorme kam gerade aus irgendeiner Tür herein. Sie blickte einen Moment zu ihnen herüber und ging dann zu ihrem eigenen Schreibtisch. Squier drehte sich zu ihr um.
Cardinal zog einen Stuhl aus McLeods Kabine. McLeod war noch auf Urlaub in Florida.
»Setzen Sie sich.«
»New York, ich kann Ihnen sagen«, ergriff Squier das Wort. »Zu groß, zu dreckig und einfach zu verflixt amerikanisch. Ich versteh ja vollkommen, dass diese schreckliche Elfte-September-Sache ne große Bedeutung für sie hat, aber ich war nicht mal in der Nähe von Ground Zero. Es gibt keine Bäume in der Stadt. Nichts Grünes. Keine Luft. Sicher, sieht imposant aus. Es ist Toronto hoch hundert. Schon mal da gewesen?«
Cardinal schüttelte den Kopf. »Haben Sie mit Matlocks nächsten Angehörigen gesprochen?«
Squier nickte. »Hab mit der Frau geredet. Sie war natürlich ziemlich aufgelöst.«
»Was haben Sie herausgefunden?«
»Wenn man ihr glauben darf, dann hatte Howard Matlock keinen einzigen Feind auf der Welt.«
»Hat sie das gesagt?«
»Oh, nicht nur die Frau. Ich hab mit Nachbarn gesprochen, mit der dortigen Kirche, ein paar Klienten – er war schließlich Steuerberater. Die Klienten wussten nur Gutes über ihn zu berichten: gewissenhaft, spart ihnen Geld, aber mit ehrlichen Mitteln. Allerdings passt das nicht ganz zu dem, was ich vom FBI habe.«
»Wirklich? Was hatten die vom FBI zu erzählen?«
»Sie haben alles über eine regierungsfeindliche Organisation namens WARR registriert – die Abkürzung von Waco and Ruby Ridge, zwei Ortschaften, wo das FBI amerikanische Staatsbürger getötet hat. Jedenfalls ist WARR ein Haufen wütender weißer Männer, deren dringlichstes Ziel offenbar darin besteht, ›den Feind zu blenden‹, wie sie sich ausdrücken. Sie wollen Amerika daran hindern, seine eigenen Bürger zu überwachen. Deshalb haben sie Rohrbomben an die NSA geschickt und dergleichen mehr.«
»Das würde sein Interesse an der CATS-Basis erklären, aber nicht, wer ihn ermordet hat.«
»Das FBI hatte Matlock mit einem Sprengkörper in Verbindung gebracht, der ihnen in ihre Zentrale in Washington geschickt wurde. Zum Glück ist er nicht explodiert. Matlock war dabei, einen Deal als Kronzeuge auszuhandeln, und andere Mitglieder von WARR haben davon Wind bekommen.«
»Ein triftiges Mordmotiv, mit anderen Worten.«
Über ihnen ging in diesem Moment ein Schlagbohrer los, und sie mussten sich anbrüllen, um etwas zu verstehen.
»Sehr triftig.«
»Und die Frau? Auch ein Mitglied dieser Fanatiker?«
»Nee, Matlocks rein privates Hobby, nach unseren Erkenntnissen.«
»Wie gut haben sie sich verstanden?«
»Etwa durchschnittlich, würde ich sagen. Seine eigene Familie ist tot, aber ich hab mit den Verwandten seiner Frau gesprochen. Die sagen, die beiden hatten wie jedes Paar ihre Hochs und Tiefs, aber keine dramatischen, endlosen Auseinandersetzungen. Die Nachbarn haben sie nie schreien gehört oder so was in der Art. Wieso? Glauben Sie, die Frau wollte ihn loswerden?«
Das Bohren hörte auf, und die plötzliche Stille schien übertrieben.
»Ich weiß nur das, was Sie mir sagen.«
»Na ja, ich kann Ihnen auch noch sagen, dass auf ihn keine hohe Lebensversicherung abgeschlossen ist, falls Sie das meinen. Das habe ich sofort geprüft. Außerdem glaube ich, dass die WARR-Schiene wesentlich vielversprechender aussieht, meinen Sie nicht?«
»Vielleicht. Aber eines wüsste ich gerne, Squier: Wieso sollten sie ihn in Kanada umbringen?«
»Weil es dann wesentlich schwerer ist, es mit ihnen in Verbindung zu bringen. Und bitte nennen Sie mich Calvin.«
»Aber ich mag Squier. Es klingt so hübsch nach einem Ritter in der Rüstung.«
Squier betrachtete ihn nachdenklich. Dann lehnte er sich in seinem Stuhl vor und sagte in vertraulichem Ton: »Sie sind mir doch nicht mehr böse wegen neulich Abend? Ich bin vermutlich zwanzig Jahre jünger als Sie, und ich hatte das Überraschungsmoment auf meiner
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