Blutiges Eis
kann für Sie nachsehen.«
»Hat noch jemand Dr. Cates Probleme gemacht? Ein Freund? Verwandter?«
»Na ja, sie hat einen alten Freund. Craig Simmons. Er ist nicht gewalttätig oder so, nicht, dass ich wüsste. Aber er ruft sie alle naselang an. Meistens muss ich ihm sagen, dass sie gerade einen Patienten hat und ihn später zurückruft. Aber oft kommt sie nicht dazu, und dann rastet er aus. Manchmal taucht er sogar hier auf. Wie gestern übrigens. Winter war ziemlich geladen. Ich konnte hören, wie sie sich gegenseitig angeschrien haben.«
Delorme zeigte ihr das Bild von Dr. Cates und dem jungen Mountie. »Ist er das?«
»Ja. Ich hätte allerdings nie gedacht, dass er ein Mountie ist. Er wirkt eher wie ein Schauspieler oder so.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich weiß nicht. Er ist eher klein und muskulös, so wie Schauspieler heute sind. Und so nervös.«
Delorme ließ Ms. Gale in der Praxis nebenan zurück und bat sie, dort auf das Team von der Spurensicherung zu warten. Sie rief auf dem Handy Arsenault und Collingwood an und ging dann zu ihrem Wagen hinunter, um noch zwei weitere Telefonate zu erledingen. Das erste galt Dr. Cates’ Eltern. Delorme betonte, es handle sich nur um einen Routineanruf, es gebe bisher keinerlei Anzeichen für ein Verbrechen. Ihre Fragen waren kurz und sachdienlich: Wer könnte Dr. Cates wohl aus heiterem Himmel aufsuchen? (Niemand.) Hatte sie irgendwelche Freunde oder Bekannten, die sie beunruhigten? (Ja, Craig Simmons.) Sie versuchte, sie zu beruhigen, doch Mr. und Mrs. Cates wussten natürlich, dass eine Kriminal beamtin nicht bei ihnen anrufen würde, wenn es keinen Grund zur Besorgnis gäbe, und bis sie aufgehängt hatte, waren sie außer sich.
Als Nächstes rief sie Malcolm Musgrave an.
»Craig Simmons«, sagte er, »ist ein verflucht guter Cop, einer der besten, die ich je hatte, und mir sind in meiner Laufbahn schon eine ganze Menge untergekommen.«
»Ist er bestimmt. Aber ich habe hier eine Ärztin, die vermisst wird – eine Ärztin, mit der er mal befreundet war –, und ich habe Grund zu der Annahme, dass er sich über sie geärgert hat.«
Musgraves Ton wechselte. »Doch nicht etwa Winter Cates?«
»Genau die. Wieso? Waren Sie wegen ihr schon alarmiert?«
»Nee. Aber Simmons redet schon, solange ich ihn kenne, von ihr. Als er zu uns kam, ging ich davon aus, dass sie bald heiraten. Hab allerdings nicht lang gebraucht, um zu merken, dass er sich da nur was einbildete. Wenn Sie sie zusammensehen, kriegen Sie ziemlich schnell mit, dass er für sie bloß ein Freund ist oder so was wie ein Bruder.«
»Und sie für ihn …?«
»Nicht bloß eine Freundin oder Schwester.«
»Würden Sie mir dann seine Adresse geben?«
»Klar, ich geb Ihnen seine Adresse. Allerdings ist er im Moment nicht zu Hause, sondern draußen im Cottage seiner Familie, in Mattawa. Unglaublich, die Hütte, sieht aus wie ne Puppenstube. Aber phantastisch zum Angeln.«
»Wieso ist er mitten im Winter im Cottage?«
»Weil um die Zeit gerne in Cottages eingebrochen wird. Haben Sie was zum Schreiben?«
Musgrave gab ihr eine genaue Wegbeschreibung. »Aber hören Sie«, sagte er. »Bei Simmons sind Sie auf dem Holzweg. Fahren Sie meinetwegen nach Mattawa, wenn es Ihre Neugier befriedigt. Quetschen Sie ihn aus. Aber je schneller Sie ihn wieder von Ihrer Liste streichen, desto besser.«
Die alte Stadt Mattawa liegt etwa vierzig Meilen östlich von Algonquin Bay, am Zusammenfluss von Mattawa und Ottawa. Diese besondere Lage macht die Stadt seit den Tagen von Samuel de Champlain zu einer besonderen Attraktion für Kanusportler; das Kanurennen im Juli ist ein beliebtes Ereignis, und was das Angeln betrifft, so springen die Barsche aus dem Wasser und bitten darum, dass man sie mit nach Hause nimmt. Es ist eine kleine Gemeinde, deren Bewohner überwiegend von den Touristen leben, die im Sommer zu Tausenden herbeiströmen, um die Flüsse, die hohen Berge und die winzigen Blockhütten zu genießen, die am Wasser oder im Wald versteckt liegen. Ein Cottage-Paradies.
Auch wenn Delorme nicht allzu viel Sinn für die Schönheit der Landschaft hatte, musste sie zugeben, dass die Umgebung einen gewissen atmosphärischen Reiz ausübte. Die grünen Berge tauchten durch den Regen am Horizont auf,und der Wagen füllte sich mit würzigem Kiefernduft. Nebelschleier lagen über den Fichten und Strauchkiefern, die die Straße säumten, und der Highway schimmerte wie ein Band aus schwarzer Seide.
Unterwegs hörte sie
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