Blutiges Eis
Sergeant Ducharme gesagt. »Die zweite Telefonnummer gehört Bernard Theroux. 1970 war er neunzehn Jahre alt. Mitglied der Chénier-Zelle, er hat für die Entführung von Raoul Duquette genau wie Daniel Lemoyne zwölf Jahre abgebüßt. Verheiratet mit einer Françoise Coutrelle, einer unbedeutenden Mitläuferin der FLQ, eher Sympathisantin als aktive Terroristin. Sie kam nie vor Gericht. Sie standen lose mit einer gewissen Simone Rouault in Verbindung – aber zu Simone kommen wir noch.
Soweit wir wissen, haben Bernard und Françoise Theroux keinerlei Verbindung mehr zu irgendwelchen terroristischen Aktivitäten. Aber das hier ist eindeutig ihre Telefonnummer, und es stellt sich die Frage, wieso dieser Amerikaner drei Wochen, bevor er tot aufgefunden wird, die beiden anruft.«
Die Frage stellt sich in der Tat, dachte Delorme eine halbe Stunde später. Sie versuchte, heil durchs Zentrum von Montreal zu kommen, ohne in einen Auffahrunfall zu geraten. Der Regen war nicht mehr stark, aber offenbar stark genug, um bei den hiesigen Fahrern Verwirrung zu stiften.
An der nächsten Ampel rief sie auf dem Handy Szelagy an.
»Was haben Sie über Dr. Choquette rausgefunden? War er Montagnacht bei diesem Bridgeabend, wie er behauptet?«
»Also, der Typ, sag ich Ihnen, sollte einen Kurs an der Alibischule geben«, sagte Szelagy. »Er hat nicht nur drei Zeugen, die mit ihm gezockt haben, sondern die drei sind sozusagen vergoldet. Einer ist der Leiter des Ontario Hospital, einer ist Kurator bei der Schulbehörde, und der andere ist der hiesige Leiter des Kinderhilfswerks. Packen Sie die in einen Raum, und Sie haben einen ganzen Vorstand zusammen.«
»Sie haben mit jedem von denen einzeln gesprochen?«
»Mit allen dreien. Und die waren auch noch so höflich! Ich wünschte, meine Freunde hätten solche Manieren.«
»Das können Sie vergessen. Ihre Freunde sind Cops.«
Delormes Handy klingelte, bevor sie es weggesteckt hatte. Malcolm Musgrave.
»Sind Sie damit fertig, meine Abteilung zu schikanieren, Sergeant Delorme? Oder haben Sie vor, uns alle zu verhören?«
»Machen Sie mir wegen Simmons nicht das Leben schwer. Sie wissen so gut wie ich, dass ich ihn überprüfen musste.«
»Und – nein, sagen Sie nichts, lassen Sie mich raten – es hat sich herausgestellt, dass er weder ein Entführer noch ein Mörder ist, hab ich recht? Ich meine, ich versuch schon, Kidnapper und Killer aus meinem Team rauszuhalten, wenn es sich irgendwie machen lässt.«
»Craig Simmons gehört nicht mehr zu den Verdächtigen in diesem Fall«, sagte Delorme. »Lassen wir es dabei bewenden.«
»Und wir werden in Zukunft sehr behutsam mit dem Privatleben eines RCMP-Beamten umgehen, nicht wahr?«
»Ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstehe.«
Ein Mann in einem schwarzen Saab schoss an ihr vorbei nach vorne und hatte auch noch die Stirn, ihr ein paar Flüche zuzurufen. Für einen Moment wollte sie ihn rauswinken, auch wenn sie in Montreal nicht zuständig war.
»Ich glaube, Sie wissen ganz genau, was ich meine«, sagte Musgrave. »Mir ist noch kein Polizist untergekommen, dem es gefallen würde, wenn man sein Privatleben ans Licht der Öffentlichkeit zerrt, ich nicht, Ihr Partner nicht und Craig Simmons nicht – oder sind Sie vielleicht eine fromme Ausnahme?«
»Heißt das, Sie wissen Bescheid? Ich meine, Sie wissen, dass der Corporal –«
»Machen Sie genau da einen Punkt, Delorme. Ich weißalles über meine Männer – und Frauen –, was ich über sie wissen muss. Ich möchte nur noch einmal ein gegenseitiges Einvernehmen unterstreichen, das doch hoffentlich zwischen uns besteht? Muss ich mehr sagen?«
»Nein«, sagte Delorme. »Sie haben sich wie immer klar und deutlich ausgedrückt.«
»Viel Spaß in Montreal«, sagte Musgrave. »Hübsche Stadt.«
Die Theroux-Adresse war auf der Rue St-Hubert in Villeray, fast genau in der Mitte von Montreal. Obwohl die Gegend vorwiegend französisch war, bemerkte Delorme auch Schilder auf Italienisch, Portugiesisch und Arabisch. Die Fußgänger schienen eine Mischung aus Studenten und Arbeiterklasse zu sein. Verstaubte alte Stoffgeschäfte wechselten sich mit neuen Boutiquen und winzigen Cafés ab.
Delorme parkte das Zivilfahrzeug der RCMP vor einem Kurzwarenladen. Nummer 7540, die Adresse, nach der sie suchte, befand sich einen halben Block weiter südlich, inmitten einer Brut kleiner, quadratischer Häuschen, die sich wie zum Schutz hinter einer griechisch-orthodoxen Kirche aufreihten. Sie
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