Blutiges Eis
klingelte an der Tür, nachdem sie die zwei Messingschilder daneben gelesen hatte. Auf dem einen stand Theroux , auf dem anderen Beau Soleil . Während sie wartete, fing es zu regnen an.
Die Tür wurde von einer rundlichen Frau im mittleren Alter geöffnet, das Gesicht von dunklen Locken gerahmt. »Oui?«
»Madame Theroux?«
»Oui?«
Delorme erklärte ihr auf Französisch, sie sei eine Polizistin aus Nordontario und bei einem Fall dringend auf Unterstützung angewiesen und sie glaube, dass Mr. Theroux ihr weiterhelfen könne. Aus dem Hintergrund drang das Geschnatter und Geschrei von Kindern. Auf ein krachendes Geräusch folgte das Brüllen eines zornigen Kleinkinds.
»Tut mir leid«, sagte die Frau. »Aber mein Mann redet nicht mit der Polizei.«
Ein kleiner, geschmeidiger Mann mit dunklen Augen und dunklem, leicht angegrautem Haar erschien hinter ihr und schlüpfte in seine Jacke. »Hauen Sie ab«, fauchte er Delorme an, »Sie haben doch gehört, was meine Frau gesagt hat.«
»Niemand will Ihnen was«, sagte Delorme. »Ich brauche nur ein paar Auskünfte.«
»Ach ja? Nur ein paar Auskünfte? Ist das alles?« Der Mann schob sie zur Seite und ging die Eingangstreppe hinunter. »Auskünfte haben was Tödliches an sich.«
Er sprang in seinen Lkw und fuhr davon.
»Tut mir leid«, sagte die Frau. »Aber ich sagte ja bereits …«
»Ja, das haben Sie«, erwiderte Delorme. »Darf ich vielleicht Ihr Telefon benutzen, um mir ein Taxi zu rufen? Mein Partner hat den Wagen.«
Die Frau machte die Tür weiter auf. Delorme trat in eine Eingangsdiele, in der ein Klavier und ein paar Plastikstühle standen. Rechts, hinter einer Flügeltür, führte eine junge Frau in sehr engen Jeans eine Gruppe Vorschulkinder in einem Reigen zu »Bonhomme, Bonhomme« an.
»Das Telefon ist in der Küche. Hier lang.«
Delorme trennte die Verbindung in dem Moment, in dem sie wählte. Als das Freizeichen kam, bestellte sie ein Taxi. »Wie lange? Schneller geht es nicht? Ja, ich weiß auch, dass es regnet. Na schön. Danke.«
Mrs. Theroux machte ein Tablett mit Apfelsaft und Pfeilwurzkeksen fertig, das sie ins angrenzende Esszimmer brachte. Überall hingen Kinderzeichnungen an den Wänden. Einige davon enthielten kindliche Liebeserklärungen – »Je t’aime, Françoise!«, »Ma deuxième mère« und Ähnliches mehr – mit den entsprechenden Rechtschreibfehlern. Im ganzen Haus roch es nach Suppe und Gebäck. Es war kaum vorstellbar,dass hier ein Terrorist wohnte, selbst ein ehemaliger Terrorist.
»Das Taxi braucht leider eine halbe Stunde«, sagte Delorme.
»Immer das Gleiche, wenn es regnet. Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
»Oh, nein, nicht nötig. Bitte tun Sie, als wäre ich nicht da.«
»Das kann ich nicht, Sie sind nun mal in meinem Haus. Nehmen Sie einen Kaffee.«
»Danke. Sehr freundlich von Ihnen.«
So, wie sie den Kaffee einschenkte, die Milch dazugoss, war Françoise Theroux der Inbegriff von Häuslichkeit – rundlich, beinahe matronenhaft, die Art von Frau, die Reporter auf der Straße interviewen würden, wenn sie wissen wollen, wie eine Mutter die örtliche Schulbehörde findet. Der Kaffee war dunkel und aromatisch, ohne jeden bitteren Beigeschmack. Delorme fühlte, wie das Koffein an ihren Nervensträngen die Lichter aufgehen ließ.
»Wann dürfte ich wohl am besten wiederkommen?«, sagte sie. »Ich fürchte, es ist äußerst wichtig, dass ich mit Ihrem Mann rede.«
»Bitte kommen Sie nicht wieder.« Ein Schatten huschte über das Gesicht der Frau. »Bernard hat dreißig Jahre lang nichts mit irgendwelchen kriminellen Machenschaften zu tun gehabt.«
»Ich weiß. Das, worüber ich mit ihm sprechen will, liegt dreißig Jahre zurück. Die FLQ, die Oktoberkrise.«
»Sie dürfen nicht wiederkommen. Bernard wird wahnsinnig, wenn er die Polizei nur von weitem riecht. Das erinnert ihn an damals, und er möchte das alles einfach vergessen. Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Vermutlich wissen Sie, dass ich auch bei der FLQ war.«
»Aber Sie wurden niemals angeklagt.«
»Nein. Bernard hat mich immer aus den gefährlicheren Unternehmungen rausgehalten.«
»Ich wüsste gerne, ob Sie für mich die Leute auf diesen Bildern identifizieren könnten.« Delorme zeigte ihr Miles Shackleys Foto von seinem gefälschten Führerschein und das Aktenfoto, das Musgrave ihr zur Verfügung gestellt hatte. »Können Sie mir sagen, wer dieser Mann ist?«
»Nein. Der kommt mir nicht bekannt vor. Wer ist das?«
»Ich komm drauf zurück.
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