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Blutiges Schweigen

Blutiges Schweigen

Titel: Blutiges Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
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es nötig, unsere Gedanken zu ordnen. Auf Reset zu drücken. Unser wichtigster Verdächtiger lag in einer Lache seines eigenen Blutes auf dem Boden eines heruntergekommenen Hauses.
    »Schwer zu sagen, wie lange es her ist«, stellte Healy fest, »außer Sie wollen ihm ein Thermometer in den Arsch rammen und seine Temperatur messen.«
    Er ließ den Lichtstrahl Markhams Arm entlanggleiten. Unter der Haut traten blaue Adern hervor. Das nicht aus dem Körper ausgetretene Blut hatte sich in Beinen, Füßen und unten am Rücken gesammelt. Healy richtete die Taschenlampe auf eine der Waden. Wo sie das Linoleum berührte, hatte sich kein Blut gestaut. Im Gegensatz zu der Stelle genau darüber.
    »Das ist Hypostase«, verkündete er.
    Sobald die Schwerkraft wirkt, wandern die roten Blutkörperchen nach unten und setzen sich fest. Die Haut, die sich
in direktem Kontakt mit einer Oberfläche befindet, füllt sich hingegen nicht an, weil die Kapillaren zusammengedrückt werden.
    Er schwenkte den Lichtkegel in der Küche herum.
    »Die Leiche ist nicht bewegt worden«, fuhr er fort. »Sind die roten Blutkörperchen erst mal abgesackt, dann bleibt das auch so. Wenn er vorher auf dem Bauch gelegen hätte und umgedreht worden wäre, wäre das Blut in seinen Schienbeinen, auf der Oberseite seiner Schenkel und an der Brust und nicht dort, wo es jetzt ist.«
    »Sieht auch nach Leichenstarre aus«, fügte ich hinzu.
    Healy hielt inne, drehte sich um und beäugte mich argwöhnisch. »Sonst noch was, was Sie nicht bereits wissen?« Er ärgerte sich, weil wir schon wieder in einer Sackgasse steckten, und brauchte einen Sündenbock. »Wollen Sie mir nicht erklären, warum Sie nicht nur Hobby-Polizist, sondern auch Hobby-Pathologe sind?«
    Ich ließ die Beleidigung auf sich beruhen.
    »Hä?«
    »Worüber streiten wir hier, Healy?«
    »Ich möchte nur gern wissen, mit wem ich es zu tun habe.«
    Ich rieb mir mit den Fingern die Stirn. Ich kannte Healy zwar noch nicht lange, fand aber, dass er ziemlich berechenbar war.
    »Ich will wissen, wer mein Kompagnon ist«, wiederholte er. »Ich mag nämlich weder Überraschungen noch ein Messer im Rücken.«
    Ich starrte ihn an. »Was soll das heißen?«
    »Das wissen Sie ganz genau.«
    »Ich weiß nicht einmal, warum Sie so einen Aufstand veranstalten. Gut, ich kann eine Leichenstarre erkennen. Na und?«
    »Ich traue Ihnen nicht.«

    »Sie brauchen mir nicht zu trauen. Sie sollen nur mit mir zusammenarbeiten. Wenn das hier vorbei ist, haben wir bestimmt genug Zeit, uns irgendwo ein gemütliches Eckchen zu suchen und unsere Kenntnisse über die Vorgänge im menschlichen Körper nach dem Tod miteinander abzugleichen.«
    Sein Blick wurde wieder argwöhnisch. »Was, zum Teufel, wissen Sie über den Tod?«
    In dem Moment, wo er es aussprach, wurde ihm klar, was er da gesagt hatte. Doch Healy war kein Mensch, der sich entschuldigte. Ein kurzes Zusammenpressen der Lippen war alles, was er zustande brachte. Es war eine typische Healy-Situation. Ein sinnloser Streit, vom Zaun gebrochen, weil er es nicht aushielt, wenn er nicht alles im Griff hatte.
    Er richtete den Lichtkegel auf Markhams Gesicht.
    »Ja, der ist schon steif«, stellte er ruhig fest.
    Die Leichenstarre beginnt stets in den Gesichtsmuskeln und breitet sich dann über Kiefer und Hals im restlichen Körper aus. Sie kann ein Hinweis auf den ungefähren Todeszeitpunkt sein, doch selbst ein Pathologe hätte sich anhand der vorliegenden Bedingungen mit einer genauen Bestimmung schwergetan. Dass die Leichenstarre noch anhielt, bedeutete, dass Markham weniger als sechsunddreißig Stunden tot war. Die Hypostase in seinen unteren Gliedmaßen war dunkelviolett verfärbt. Ich hatte in den späten neunziger Jahren  – im Südafrika nach der Apartheid  – zwei Monate lang im forensischen Institut in Pretoria für einen Artikel recherchiert. Die Totenflecken waren etwa sechs bis zwölf Stunden nach Einsetzen der Hypostase am stärksten ausgeprägt. Und das hieß, dass Markham heute Morgen beim Aufwachen noch lebendig gewesen war.
    »Wenn wir das melden, ist es vorbei«, sagte Healy und leuchtete eine der Stichwunden an Markhams Körper an. »Dann können wir die Angelegenheit vergessen.«

    Ich nickte. Er hatte recht. Im Moment hatten wir noch einen Vorsprung, während die Polizei versuchte, uns einzuholen.
    Ich fing an, das Zimmer zu durchsuchen, schob Möbel weg und rückte das Sofa von der Wand, um etwas zu finden, das uns einen Hinweis liefern würde.

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