Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutiges Schweigen

Blutiges Schweigen

Titel: Blutiges Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
Vom Netzwerk:
Kamin, und dahinter lag die Küche.
    Die beiden Männer auf dem Boden bewegten sich. Der eine murmelte etwas, der andere machte ein Geräusch, als würde er gleich seinen letzten Atemzug tun. Zwischen den beiden türmten sich leere Dosen und Flaschen. Der eine hatte in die Hose gemacht.
    »Verdammte Scheiße«, flüsterte Healy. »Das ist ja hier wie am St. Patrick’s Day.«
    Wir durchquerten das Wohnzimmer. Healy steuerte schnurstracks auf den Ausgang zu, doch ich blieb stehen und blickte die Treppe hinauf. Oben konnte ich einen Teil des Treppenabsatzes erkennen. Die Wände waren verbrannt und rissig. Die Decke des Wohnzimmers hatte Löcher.
    Die Taschenlampe richtete sich auf mich. »Wollen Sie hier Wurzeln schlagen?«
    Ohne auf Healy zu achten, ging ich zum Kamin.
    »Geben Sie mir die Lampe«, sagte ich.
    Er hielt sie mir hin. Ich sah ihn an, ohne mich zu bewegen, und wartete darauf, dass er sie mir brachte. Schließlich tastete er sich kopfschüttelnd über Glasscherben und Holzsplitter zum Kamin und drückte mir die Lampe mit einer unwirschen Geste in die Hand.
    »Wollen Sie noch ein Feuerchen anzünden?«
    Zum zweiten Mal ignorierte ich ihn und richtete die Taschenlampe in den Kamin. Es war ein handelsübliches Gasfeuer: falsche Kohlestückchen in einer Schale, eine früher einmal elegante Einfassung aus silbrigem Metall. Der Kamin schloss nicht an der Wand an. Ein gut einen Zentimeter breiter Spalt verlief ringsherum. Als ich hineinleuchtete, entdeckte
ich einen Hohlraum. Kein Innenleben eines Kamins. Keine Wandnische. Einfach nur ein Loch.
    »Helfen Sie mir mal«, sagte ich. Healy ging zur anderen Seite des Kamins. Wir steckten beide unsere Finger in den Spalt und zogen den silbernen Rahmen von der Wand weg. Anfangs klemmte er und erzeugte beim Ziehen ein dumpfes Scharren. Dann löste er sich und riss dabei das Kohlebecken mit.
    Ich griff wieder zur Taschenlampe.
    Die Wand hatte ein etwa einen Meter hohes und eins dreißig breites Loch. Ich leuchtete hinein. Ziegelsteine, Isoliermaterial und Zwischenwand waren durchbrochen worden.
    Der Durchgang führte zum Nebenhaus.
    Ich kroch auf allen vieren durch die mit Mörtelstaub, Scherben und Backsteinbrocken gefüllte Lücke. Healy folgte mir.
    Das Haus auf der anderen Seite hatte denselben Grundriss wie Nummer neunundzwanzig. Es war spartanisch möbliert: eine hohe, an eine Zeitschaltuhr angeschlossene Stehlampe, die im Moment brannte, ein abgewetztes Sofa, in der Ecke auf einer Kommode ein nagelneuer Fernseher mit DVD-Spieler und uraltem Videorecorder. Darunter Videokassetten. Auf den Arbeitsflächen in der Küche lagen Besteckteile und angebrochene Lebensmittelverpackungen herum. Die Treppe war nicht mit einem Teppich belegt.
    Am vorderen Fenster standen zwei Schaufensterpuppen. Beide waren nackt. Einer fehlte ein Arm, und etwas hing von ihrem Gesicht herunter. Es sah aus wie eine dünne Plastikfolie, die zum Teil seitlich an das Gesicht der Puppe geklebt war.
    Ich trat näher heran und berührte die Folie mit dem Finger.
    Aber es war kein Plastik.
    Sondern Latex.
    Auf der einen Seite war die Folie glatt, seidig und beinahe wie poliert, auf der anderen Seite hatte sie mehr Farbe und Struktur. Healy schaute mir über die Schulter.

    »Was, zum Teufel, ist das?«
    Ich strich die Folie über den erhabenen Stellen am Kopf der Schaufensterpuppe glatt. »Ein Gesicht.«
    Wir wichen zurück. Auf dem Fensterbrett hinter uns lag Kinderspielzeug verstreut: Teddys und Plastiktiere lugten zwischen den Vorhängen hervor. Alles hier sollte eine Fassade schaffen, damit die Leute draußen dachten, dass im Inneren des Hauses Normalität herrschte.
    Nur, dass es nicht so war.
    Die Schaufensterpuppe vor uns erwiderte unseren Blick. Ihre toten Augen starrten durch die Löcher in der dünnen Latexmaske. Durch den Mundschlitz waren schmale, geschürzte Lippen zu sehen. Da der Leim nicht stark genug war, um sie an Ort und Stelle zu halten, verrutschte die Maske wieder. Doch nicht, bevor uns klar geworden war, wen wir da vor uns hatten.
    Milton Sykes.
    Ich riss die Maske von dem gewölbten Kopf der Schaufensterpuppe. Healy stand neben mir, und wir betrachteten gemeinsam das Latexkonterfei von Sykes.
    Es war eine gute Arbeit, allerdings keinesfalls perfekt. Die Farbe war ein wenig verlaufen, und auf der Haut hatten sich streckenweise kleine Lackspritzer abgesetzt. Doch sie war auf jeden Fall überzeugend. Die Maske reichte von der Stirn bis zu den Ohren und bis unterhalb des Kinns. Der

Weitere Kostenlose Bücher