Blutinsel
murmelte Travis und ging den Pfad entlang, der um die Bucht führte und an seinem Haus endete. Hier entlang war Charly davongerannt, nachdem das schmerzverzerrte Winseln zu hören gewesen war. Hin und wieder rief er den Namen des Hundes oder pfiff nach ihm. Erst als er am Haus ankam und die Petroleumlampe auf der Veranda entzündete, fand er Charly wieder, der sich unter die Treppe zurückgezogen hatte.
» Charly, komm, komm zu mir! «
Nur zögerlich folgte der Hund und kroch unter der Treppenstufe hervor. Travis empfing ihn am Boden kniend und mit offenen Armen. Zärtlich fuhr er ihm über den Kopf. » Da hat dich wohl jemand sehr erschreckt « , sagte er sanft, bevor er die Feuchtigkeit auf seiner Handfläche fühlte. Er nahm Charly in die Arme und schob das zitternde Tier auf die Veranda. Erst im Licht der Petroleumlampe erkannte er die blutende Wunde oberhalb der Nase.
» Was hat dieses Schwein mit dir gemacht! « , fluchte Travis, als er mit Charly in seinem Haus verschwand. Der Fremde war wie vom Erdboden verschluckt, doch er hatte Charly verletzt, und das würde Travis kein zweites Mal zulassen. Charly war sein einziger Freund hier draußen in der Einsamkeit, er ging mit ihm durch dick und dünn. Niemand durfte Hand an ihn legen, niemand. Elijah Travis ging an seinen Wandschrank, öffnete die Tür und griff nach seiner Schrotflinte. Er würde gewappnet sein, wenn er das nächste Mal diesem unheimlichen Schatten begegnete.
Seafood Inc., Hell’s Kitchen Island, Maine,
20 . März 2007 , 00 . 55 Uhr (Dienstag)
Er hatte gewartet, bis Alison fest schlief. Als sie von der Kirche zurückgekommen war, hatte er so getan, als wäre er in der Stube eingeschlafen. Alison hatte ihn gefragt, ob er sich besser fühle, und er hatte nur genickt. Es gehe schon wieder, hatte er geantwortet, ehe Alison in der Küche verschwand und er sich wieder auf der Couch niederließ. Bevor sie zu Bett ging, mimte er den tief Schlafenden. Sie gab die Versuche, ihn zu wecken, auf und holte seine Bettdecke aus dem Schlafzimmer, deckte ihn zu und verschwand wieder im Schlafzimmer. Er hörte, wie das Bett knarrte. Mit offenen Augen starrte er an die Decke, wo der Schein einer Straßenlaterne durch das Fenster fiel und sich spiegelte. Beinahe eine Stunde wartete er, bevor er sich erhob. Leise öffnete er die Schlafzimmertür. Das gleichmäßige Schnarchen von Alison beruhigte ihn. Er warf einen Blick auf die fluoreszierenden Uhrzeiger. Eine halbe Stunde nach Mitternacht. Es war Zeit zum Aufbruch. Er zog seinen Mantel über und die Stiefel an, bevor er sich aus dem Haus schlich. Er überquerte die Main Street und nutzte dabei die Dunkelfelder zwischen den Straßenlaternen. Um diese Zeit war weit und breit niemand mehr unterwegs. Nur in Haynes’ Werkstatt brannte noch Licht, die Fenster der Häuser waren dunkel. Er schlich sich an der langen Wand des ehemaligen Fabrikgebäudes entlang, bis er zu der Stelle gelangte, an der ein Teil der Mauer eingestürzt war. Mit seiner Taschenlampe suchte er den Weg. In der alten Fabrik erinnerte nichts mehr an die guten Zeiten von einst, als hier noch Seefisch zerlegt, portioniert und teilweise in Dosen verpackt wurde. Alle Maschinen hatte man damals abgeholt, als die Fabrik pleiteging. Im Inneren durchschritt er die große Halle, in der auch er einst an einem Band gestanden und Fisch ausgenommen hatte, doch noch nicht einmal der Gestank hatte die Zeit überdauert. Einzelne, von der Decke herabgestürzte Steine und Mörtel zeigten deutlich, dass das baufällige Gebäude die nächsten Jahre wohl nicht überstehen würde. Er wandte sich nach rechts, wo sich früher am Ende eines langen Ganges die Aufenthaltsräume und der Speisesaal befunden hatten und wo lange Zeit über Fisch in allen Variationen zu, wie er damals fand, fairen Preisen angeboten wurde. Als er in den finsteren Gang eingetaucht war, hörte er ein schepperndes Geräusch. Mit seiner Taschenlampe leuchtete er in die Richtung, wo sich einst das Büro des Vorarbeiters Chester Glandale befunden hatte. Chester war mit der Firma verheiratet gewesen und hatte es nicht verkraftet, dass man Seafood geschlossen und abgewickelt hatte. Nach der Pleite hatte er Hell’s Kitchen Island in Richtung Festland verlassen. Er war schon damals ein sehr gläubiger Mensch gewesen, und man sagte, er habe sich immer mehr Gott zugewandt, um auf seine alten Tage Priester zu werden, doch dann habe er sich umgebracht. Er sei in New York von einer Brücke gesprungen. Das
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