Blutkirsche
„Dieses Gebaren widerspricht dem Grundgedanken des Namensgebers, Dr. Daniel Gottlob Moritz Schreber.“
An dieser Stelle lachten einige Mitglieder laut auf.
„Schließlich ist dies ein Kleingartenverein und kein exklusiver Tennis- oder Golfclub“, hatte Fink noch schnell nachgeschoben, bevor die Versammlung in einen kleinen Tumult ausartete.
Nur dem raschen Durchgreifen des Vorsitzenden Harry Kohl war es zu verdanken, dass sich die Gemüter der Anwesenden an diesem Abend beruhigten. Er verbot einfach die Abstimmung darüber, hatte das aufwieglerische Flugblatt konfisziert und Mike Fink keine Redeerlaubnis mehr gegeben. Das Ende vom Lied war, dass die Neuen weiterhin die Eintrittsgebühr bezahlen mussten.
Dieser arrogante Kerl mit seinem japanischen Gartenhaus, dachte Albert. Eine solche Extrawurst hatte bisher noch niemand gewagt. Merkwürdig ist nur, dass Harry nichts dagegen unternommen hat, das ist doch sonst nicht seine Art. Das mit dem Rhododendron, direkt auf der Grenze zu den Nachbargrundstücken, verbot die Gartenordnung, doch Albert war eigentlich ein gutmütiger Mensch, seine Devise lautete: ‚leben und leben lassen‘. Er hasste es, seit einiger Zeit hart durchgreifen zu müssen. Harry hatte es ihm unmissverständlich klar gemacht.
‚Kleiner Sonnenkönig‘ nannten Albert und einige wenige mutige Gartenfreunde den ersten Vorsitzenden, der mit penibler Genauigkeit über die einfachen Mitglieder, aber auch über seine Vorstandskollegen regierte. Wenn sich jemand über seinen Führungsstil beschwerte, konnte Harry richtig unangenehm werden und demjenigen, der sich ihm widersetzte, das Leben schwer machen. Seine Lieblingssprüche brüllte er gerne laut heraus: „Was geht mich die Satzung an? Ich bin der Vorsitzende und meine Meinung gilt. Wem das nicht gefällt, der soll gefälligst den Scheiß selber machen.“
Albert hütete sich, zu widersprechen. Er wollte keinen Ärger haben für die paar Jahre, in denen er noch seinen Garten besaß. Schon jetzt fiel es ihm immer schwerer, Bäume zu schneiden und die Erde umzugraben. Aber er brauchte die kleine Scholle für die Cannabis-Pflanzen, die er |27| zwischen den Tomatenstauden seit Gertruds Krankheit in einem kleinen selbstgebauten Gewächshaus heranzog. Das Hanfgewächs half ihr die Chemotherapie ohne große Übelkeit und Erbrechen zu überstehen. Genutzt hatte es aber dann doch nichts.
Damals hatte er sein erstes Pfeifchen geraucht und festgestellt, dass es bei seinem Asthma beruhigend wirkte. So blieb er dabei und hegte die Pflanzen weiter. Gewächshäuser waren ebenfalls verboten, ganz zu schweigen der Anbau von Marihuana. Zur Tarnung war das dichte Karee aus immergrünen hohen Buchsbäumen gerade richtig. Albert zog den Buchs selbst heran. Auch wenn dieser langsam wuchs, waren in den vierzig Jahren seines Gärtnerdaseins daraus viele zu großen Sträuchern geworden. Er hatte sie einfach dorthin umgepflanzt.
In einer Hinsicht konnte sich Albert über den Sonnenkönig nicht beschweren. Dieser lud ihn öfter auf eine Flasche Württemberger oder zum Schnaps ein. Wie gestern. Es war elf Uhr in der Nacht gewesen, als die Letzten das Festzelt verließen. Harry hatte ihn und Kassenwart Ullrich Theisen daraufhin in seine Laube zu einem Umtrunk gebeten.
‚Merkwürdig, das Gartentor ist offen. Ich glaube, ich war voll wie eine Haubitze. Zu blöd, dass die Taschenlampe den Geist aufgegeben hat, ich weiß noch, dass ich dabei fast über Harrys Gartenzwerge gestolpert bin. Ist ja auch kein Wunder, diese zipfelmützigen Gesellen sind einfach zu gigantisch und scheinen ein ausgefülltes Sexleben zu haben. Pflanzen sich irgendwie rasant fort.‘
Gertrud hätten sie gefallen, trotzdem hatte sie ihm nur einen erlaubt.
„Zum Teufel mit dem Absacker“, murmelte Albert nun laut vor sich hin. Heute war nicht sein Tag, das spürte er.
‚Habe ich das Tor offen gelassen? Bestimmt nicht. Außerdem ist Ullrich nach mir rausgegangen. Wollte mich mit seinem Auto heimfahren, mit seinem neuen riesigen amerikanischen Schlitten. Irgend so eine komische Marke – Krebs? Hummer!
War mir aber zu gefährlich, mit ihm zu fahren, der Ullrich hatte einiges intus und ist dann zu seinem Gütle getorkelt.‘
Der Sonnenkönig blieb in seinem Häuschen, um die restliche Nacht seinen Rausch auszuschlafen. Albert hatte versprochen, ihn zu wecken, denn Harry wollte noch die Abrechnung von gestern machen und würde auch am zweiten Tag wieder die Kasse führen.
Der Plattenweg
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