Blutkirsche
hereinbitten, war ausgeschlossen. Schlimm genug, dass zweimal im Jahr der Wasserwart ihre Parzelle betrat, um die Leitungen zu überprüfen. Ricardo lag keine sechs Fuß tief und Wilma bemerkte den Verwesungsgeruch. Dazu kam, dass die Maden ein Schlupfloch zwischen geschlossenem Plexiglasdach und Unterbau gefunden hatten und an den Seiten des Frühbeetes hinunterkrochen. Als ihr Gartennachbarn Rösler die weißen Würmer entdeckt hatte, konnte sie ihn nur mit Mühe davon abhalten, nachzuschauen.
Den endgültigen Ausschlag für ihren Entschluss gab aber der neueste Tratsch, der ihr letzte Woche über den Gartenzaun von Frau Möhrle zugetragen wurde. „Haben Sie es auch gehört, unsere Gütle sollen verkauft werden, die Stadt braucht das Geld für Stuttgart 21. Die sind nicht ganz dicht, den Bahnhof unterirdisch zu legen. Und was das kostet! Soviel ich mitbekommen habe, sollen unsere Gärten Bauplätze werden.“
Also deshalb wurden in letzter Zeit viele Grundstücke nicht weiterverpachtet, die verlassenen, ungepflegten Parzellen fielen schon auf. Allein am Hauptweg gab es fünf Stück davon.
Die Information von Frau Möhrle, die meistens gut über das Vereinsleben unterrichtet war, hatte ihren Entschluss noch bekräftigt. Der Zeitpunkt, aufzuräumen und ein neues Leben anzufangen, schien gekommen.
Aber bevor sie kündigte, musste sie nachschauen, was von Ricardo noch übrig war. Die Verrottung des Gewebes von Ricardo hing von der Beschaffenheit des Bodens, der Temperatur, der Feuchtigkeit und dem Befall von Insekten und Würmern ab. In dieser Hinsicht gab es optimale Voraussetzungen unter der Abdeckung des Frühbeets!
Nicht auszudenken, dass ein neuer Gartenbesitzer oder, wer auch immer es ausgräbt, die Überreste findet. Wilmas Überlegungen nahmen konkrete Ausmaße an.
|25| Wohl oder übel würde sie die Erdschicht tief abtragen um das, was von Ricardo noch übrig geblieben war, hervorzuholen. Die Entsorgung sollte kein Problem mehr sein. In der Klinik gab es einen Verbrennungsofen, dort wurden amputierte Gliedmaßen, Knochen und herausoperierte Weichteile verbrannt. Wilma würde einfach nach und nach Säcke dazustellen und die Etiketten darauf fälschen.
Wilma schloss ihr Gartentor und die Laube auf, trocknete Gesicht und Hals mit einem Frotteehandtuch ab und ging hinüber zu Garten Nummer 13. Ihr Entschluss stand fest. Sie würde noch heute Morgen ihre Parzelle persönlich kündigen. Bis ihr Einschreiben am Montag oder Dienstag beim Vorstand im Briefkasten lag, war der Termin längst überfällig, eigentlich hätte sie schon zum ersten Mai kündigen müssen. Vielleicht konnte sie Harry Kohl überreden, für sie eine Ausnahme zu machen. Noch ein weiteres Gartenjahr in der Nähe von Ricardo zu verbringen, hielt sie nicht mehr aus.
Die Fahne über Kohls Hütte flatterte und signalisierte wie auf dem Buckingham-Palace die Anwesenheit des Vorsitzenden. Ein Fahrrad lehnte am Gartenhäuschen. Die Laubentür war zwar geschlossen, aber Wilma klopfte, rief „Hallo?“ und trat ein.
Eine kurze letzte Steigung über die kleine Treppe, die in den Waldhang hineingebaut war, und Albert erreichte die ersten Stückle. Ein Fuchs flüchtete vor ihm, in seinem Maul trug er einen Schuh. Albert sah den buschigen roten Schwanz des Tieres zwischen den Laubbäumen verschwinden. Na so was, dachte Albert erstaunt, die werden auch immer frecher. Da muss ich doch gleich mal nachschauen, ob meine Gartenschuhe noch vor meiner Laube stehen!
Bevor Albert bei der Weggabelung nach links abbog, um seinen Auftrag zu erledigen, begutachtete er durch die Kirschlorbeerhecke Mike Finks Parzelle. Auf den ersten Blick fiel ihm der frisch gepflanzte Rhododendron auf.
‚Was zum Teufel? Das sieht doch ein Blinder mit einem Krückstock, dass der auf der Grenze steht. Und nicht nur ein Strauch, es gibt eine ganze Reihe davon. Der Ärger ist vorprogrammiert, und wer ist dann der Prellbock?‘
Wie immer würde er als Erster den Zornesausbruch seines Vorsitzenden ertragen müssen. Albert als Gartenwart hatte auf die Dinge zu achten |26| und musste die Sünder abmahnen. Bestimmt gab es jetzt wieder Rambazamba und Streit mit diesem aufsässigen Fink.
Neulich die Sache bei der Mitgliederversammlung: Es ging um die fünfhundert Euro Eintrittsgebühr, die jeder neue Pächter an den Verein zahlen sollte. Fink hatte ein Rundschreiben verteilt, auf dem zu lesen war, das sei nach der Landeskleingartenordnung unzulässig, und meldete sich zu Wort:
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