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Blutkirsche

Blutkirsche

Titel: Blutkirsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Weitbrecht
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aus dem Schädel herausgepickte. Alberts müde Beine bewegten sich so schnell wie schon lange nicht mehr.
    Der Vogel ließ ein Stück seiner Mahlzeit fallen, krächzte und flog erschrocken hoch, als er einen Menschen auf sich zueilen sah.
    Alberts Atem setzte fast aus. Zitternd nahm er aus seiner Jackentasche eine Inhalationspumpe mit Cortison und sprühte sich in den Mund. Nur mühsam konnte er sich an seinem Stock festhalten, während sich seine Lungenbläschen wieder füllten. Keuchend beugte er sich über seinen Vorsitzenden.
    |30| Albert versuchte zu rufen, aber es drangen nur undefinierbare Laute aus seinem Mund. Zu helfen war Harry nicht mehr, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Er trat zurück. Aus unzähligen Folgen Tatort wusste er, dass man ein Mordopfer nicht bewegen durfte.
    Nach dem ersten Schreck überlegte Albert, was er tun sollte. Einen Nachbarn rufen? Er blickte sich um. Er sah und hörte in den nächstgelegenen Gärten niemanden. Jetzt erinnerte er sich, dass er Fink gesehen hatte, als dieser die Grünewaldstraße hinunterfuhr. Hatte Fink nichts bemerkt? Ich muss den Notarzt rufen, dachte Albert. Und die Polizei! Wo versteckte sich sein Handy? Zitternd suchte er in allen Taschen, zog es dann aus seiner inneren Jackentasche und blickte auf das Display. Scheiße – er hatte vergessen, den Akku aufzuladen. Albert beschloss, zur Vereinsgaststätte zu laufen und von dort aus zu telefonieren. Dann fiel ihm ein, dass – laut Dekret des Sonnenkönigs während des Vereinsfestes eine unzumutbare Konkurrenz – das Gasthaus geschlossen blieb. Wie benommen machte sich Albert auf den Weg. Falls er keine Menschenseele traf, musste er zur nächsten Telefonzelle laufen, aber da ging es Gott sei Dank den Berg hinunter.

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    |31| 3
    Durch das Fenster schien die Sonne hell und kraftvoll. Anne zog das Rollo bis zur Hälfte herunter und der Raum wurde in ein sanftes Halbdunkel getaucht. Obwohl der braune Linoleumboden wie eine Speckschwarte glänzte und sonst kein Staubkörnchen zu sehen war, roch es im Zimmer nach Krankheit, Urin und ungewaschenem Körper. Anne ging zum Bett, nahm die Hand der schlafenden Frau und streichelte sie. Die Pflegerin kam herein und stellte das Essenstablett auf den Nachttisch und fragte in einem polnischen Akzent:
    „Schläft Oma schon wieder? Ich füttere sie nachher, ich muss vorher noch andere waschen.“
    Wütend holte Anne ihr Handy aus der Tasche und tippte die Zahlen ein.
    „Günther Wöhrhaus.“
    „Hier Anne. Ich bin bei deiner Mutter. Schau bitte nach ihr, sie ist schon ganz abgemagert. Es ist deine Aufgabe, dich darum zu kümmern, schließlich sind wir seit fünf Jahren geschieden. Wann hast du sie eigentlich das letzte Mal besucht? Und wenn wir schon mal dabei sind: Wann hast du das letzte Mal mit deinem Sohn gesprochen? Außerdem ist die Unterhaltszahlung für März und April noch nicht eingegangen, und jetzt haben wir schon Anfang Mai! Mal wieder alles für Escort-Damen ausgegeben?“ Annes Stimme klang scharf und bestimmt.
    „Moment mal, was soll das? Fängt das schon wieder an? Dauernd meckerst du rum. Wie ich mein Geld ausgebe, geht dich überhaupt nichts mehr an. Schließlich habe ich meiner Mutter das Heim besorgt. Die werden dafür bezahlt und das nicht zu knapp“, entgegnete Günther wütend. „Und was Julian angeht: Du hast das Sorgerecht. Er war schon immer mehr dein Sohn, als meiner, er sieht mir noch nicht einmal ähnlich.“
    „Das heißt aber nicht, dass du dich als Vater der Verantwortung entziehen kannst, ganz zu schweigen vom Geld. Aber so ist es früher schon gewesen. Du kennst nur dich und immer sind die anderen zuständig, nie du selbst. Aber auf dem Werbeprospekt für die Gemeinderatswahl groß herausposaunen:
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‚ Ich bin auch diesmal Ihr Kandidat, der sich für Ihre Belange einsetzt. Für ein soziales und gerechtes Stuttgart.“
    Den letzten Satz hatte Anne betont sarkastisch gesprochen. Dieser Heuchler! Gleichzeitig fühlte sie, dass sich hinter den Schläfen ein Knistern zusammenzog. Ihre Migräne kündigte sich an.
    „Der Unterhalt kommt in den nächsten Tagen, ich bin zurzeit etwas klamm. Ich hab’ da ein Projekt laufen. Ich lege auf, ich hab’ jetzt keinen Kopf dazu, außerdem kann man sich mit dir nicht vernünftig unterhalten – ausgeschlossen! Deine Vorwürfe kotzen mich an, kümmere dich lieber um deine Mörder!“
    Günther Wöhrhaus hatte das Gespräch abrupt beendet.
    Anne schäumte vor Wut. Sie konnte mit

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