Blutkirsche
ihren Dienstausweis „Kriminalrätin Wieland“ und schlüpfte unter dem Band hindurch.
Ein junger Polizist, noch in der alten schlammfarbenen grünen Uniform und Mütze gekleidet, kam ihr ein paar Schritte entgegen. „Grüß Gott, Möller – Revier Feuerbach.“
Ein Mann, dessen Jacke auf dem Rücken die Aufschrift
Notarzt
trug, füllte auf einem Tisch, der neben der Laube auf einer betonierten Freifläche stand, ein Formular aus. Er trug ein Headset für sein Walkie-Talkie.
Marco Schneller, Annes Assistent, stand daneben und winkte ihr zu.
„Grüß Gott! Womit haben wir es hier zu tun?“, fragte Anne.
„Tötungsdelikt, Chefin“, antwortete Marco.
Anne fiel auf, dass ihr Mitarbeiter dunkle Augenringe hatte und völlig übernächtigt aussah.
„Na, mal wieder nicht geschlafen – das Baby? – Melanie?“
Marco nickte betrübt. Das Baby war vor sechs Wochen zur Welt gekommen. Melanie war seine Frau und litt seit der Geburt unter Depressionen.
„Okay, erzähl mir später davon. Jetzt bringen wir das hier erst mal hinter uns. Ist unsere ‚Feuerwehr‘ schon da? Wo sind die Kollegen vom Kriminaldauerdienst?“, fragte sie.
„Hahn und Ruoff schauen sich den Geschädigten an“, berichtete Marco seiner Chefin.
Anne fragte: „Hast du ihre Ergebnisse notiert und in dein iPhone übertragen?“ Währenddessen zog sie aus ihrer Tasche den weißen Overall und Überziehschuhe aus Plastik hervor, streifte sie über und zog Einmalhandschuhe an.
„Natürlich!“, antwortete Marco, fast beleidigt, dass seine Chefin überhaupt infrage stellte, er würde seinen Job nicht richtig erledigen.
„Wieland, Kripo Stuttgart. Und Sie sind?“, fragte Anne den Arzt, der inzwischen aufgehört hatte, zu schreiben, und seinen Notfallkoffer zusammenpackte.
„Doktor Kübler, Notarztdienst. Die Leitstelle wurde kurz vor elf Uhr verständigt, ich konnte aber nur noch den Tod feststellen. Keine natürliche Todesursache. Hier kommt die Hutschnur-Regel zur Anwendung. Ist alles in meinem Bericht notiert.“
„Okay“, sagte Anne. Das mit der Hutschnur kannte sie. Alle Verletzungen am Kopf oberhalb einer imaginären Hutschnur wiesen auf einen unnatürlichen Tod hin. Die unterhalb der Hutschnur hatten natürliche |37| Ursachen, es sei denn ein Opfer stürzte die Treppen hinunter oder fiel über eine Kante.
„Wie sieht es mit dem Todeszeitpunkt aus?“
„Die Leichenstarre hat noch nicht voll eingesetzt, also ich würde sagen, so vor vier bis fünf Stunden“, entgegnete der Mediziner und fragte: „Brauchen Sie mich noch? Ich bin über Funk zu einem Unfall gerufen worden. Eine große Sache auf der Autobahn.“
Anne zögerte eine Sekunde. „Ich glaube, wir brauchen Sie hier nicht mehr, schicken Sie mir ihren vollständigen Bericht ins Präsidium.
Jetzt zur Leiche! Wo ist sie?“
„Hinter dem Häusle, auf dem Mist!“, antwortete Marco.
Anne begrüßte die Kollegen des Kriminaldauerdienstes mit einem ‚Hallo‘ und trat vorsichtig an das Opfer heran, um es von nahe zu betrachten.
„Etwa fünfzigjähriger Mann, klaffende breite etwa zehn Zentimeter große Kopfwunde. Die zweite daneben ist nur circa drei Zentimeter breit. An den Verletzungen Gerinnungsspuren. Tötungsdelikt. Hat sich sehr wahrscheinlich nicht selbst den Schädel gespalten. Sieht bald die Radieschen von unten.“
Anne überhörte Marcos flapsige Bemerkung. Mancher Polizist konnte nur mit vorgetäuschter Kaltschnäuzigkeit oder Zynismus die Arbeit beim Morddezernat ertragen. Aber sie schätzte Marco, der bei ihrer ersten Begegnung durch sein jungenhaftes spitzbübisches Auftreten einen völlig falschen Eindruck gemacht hatte. Marco kam aus der Nähe von Leipzig, was manchmal auch zu hören war. Kurz nach der Wende zog er nach Stuttgart um. Marco arbeitete gewissenhaft, fleißig und schnell. Ein Käpsele, wenn es um Computer ging. Falls sie die Stelle als Leiterin des Dezernates bekam, würde sie ihn zur Beförderung vorschlagen. Die Gehaltsaufbesserung konnte ihr Assistent bestimmt gut gebrauchen, jetzt wo das Baby da war und seine Frau die Elternzeit nutzte.
„Tatwaffe?“
„Noch nicht ermittelt, aber wie es aussieht ein langer scharfer Gegenstand, wahrscheinlich Axt oder Hacke.“
„Weiß man, wer er ist?“
„Laut Aussage des Zeugen, ist es ein Harry Kohl, der Vorsitzende des Vereins, ist wohl Vertreter von Beruf.“ Marco klappte seinen Moleskine-Notizblock auf und las die Angaben vor.
„Tatzeit?“
|38| „Laut Arzt und gemessener
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