Blutkirsche
gesehen?“
Röslers Augen rollten nach oben und er verfiel ins Schwäbische: „Geschtern om Mitternacht, mir hend a Schnäpsle z’samme dronke, der Ullrich ond i. Do wor dr Harry no quicklebendich.“
„Und heute Morgen, ist Ihnen da jemand begegnet? Haben Sie jemanden gesehen oder etwas Verdächtiges bemerkt?“
Albert überlegte eine Sekunde. „Ja, Fink kam mir auf der Straße mit seinem Auto entgegen.“ Albert bemühte sich nun in ein Hochdeutsch, |42| das dem Honoratiorenschwäbisch entsprach, umzulenken, was ihm überraschend gut gelang.
„Fink?“
„Ja, der Gartenfreund in Nummer 15. Ich hab’ mich noch gewundert, weil das nicht sein üblicher Nachhauseweg ist.“
„Was ist denn sein üblicher Nachhauseweg?“, erkundigte sich Anne.
„Fink ist runtergefahren, aber er wohnt in die Richtung, in der ...“ Albert Rösler beendete den Satz nicht, drehte sich um und wies mit dem Zeigefinger auf den Kräherwald. „Ist vielleicht zum Einkaufen.“
„Aha“, meinte Anne und fragte: „Ist Ihnen sonst jemand begegnet?“
„Noi, aber ...“
„Was aber?“, fragte Marco.
Albert verfiel wieder ins Schwäbische. „Ich han denkt, do währ ebber em Garte vom Harry gwäh, aber da han i mi wohl gtäuscht.“
„So getäuscht? Aber niemand erkannt?“, hakte Marco nach.
Albert Rösler schüttelte den Kopf und brummte: „Noi, i bräuchta neu’ Brill!“
Anne schrieb die Aussage über die eingeschränkte Sehfähigkeit auf.
„Hat Herr Kohl Angehörige und wo wohnen die denn?“
„Hanoi, der wohnt doch in der Grazer Straße, bei der Festhalle, die Tochter lebt bei ihm und ...“
„Nur die Tochter, keine Frau?“, unterbrach Anne den alten Mann.
„Noi, die isch vor vier Johr gstorbe, Harry hott gsagt, es wär ihr Herz gewäh, übr Nacht sei se gstorbe.“
Anne stutzte – Grazer Straße bei der Festhalle, das war ja praktisch bei ihr um die Ecke. Hatte sie den Ermordeten vielleicht vom Sehen gekannt? Eher nicht. Die Leiche wurde in der Rechtsmedizin gewaschen, vielleicht konnte sie sich dann an ihn erinnern. Kohl war kein Feuerbächer, sondern ein Reigeschmeckter, so viel hatte sie inzwischen von Rösler herausbekommen.
Seit ihrer Ankunft im Garten waren über zwei Stunden vergangen. Anne hatte sich von Albert Rösler die Namen der Pächter der angrenzenden Parzellen geben lassen. Keinen von ihnen traf sie an, außerdem rührte sich nichts. Die Gartentore waren fest verriegelt, so konnte sie im Augenblick nicht hinein. Falls sich irgendwelche Verdachtsmomente ergaben, musste sie sich von einem Richter den Durchsuchungsbeschluss zur Öffnung geben lassen. Sie fertigte einen Plan der fünf Gärten an, die in unmittelbarer Nähe des Mordopfers lagen und fotografierte sie zusätzlich |43| mit ihrem Handy. Vom Vereinszimmer, das sich im Obergeschoss des Wirtshauses befand, ließ sich der Schlüssel des Vorsitzenden nicht auffinden. Kassierer Theisen, der am Freitag bei Harry mit ihm den Schlummertrunk zu sich genommen hatte, besaß den zweiten und sei bestimmt im Baumarkt anzutreffen, meinte Albert Rösler.
„Okay, da können wir jetzt nichts machen, ohne Beschluss dürfen wir sowieso die Tore nicht aufbrechen“, entschied Anne. „Vielleicht finden wir auch Ordner mit den Daten des Vereins im Computer des Opfers, die Kriminaltechnik soll sich darum kümmern. Und um das Handy! Anrufe, SMS, gespeicherte Nummern, irgendwelche Hinweise muss es da ja geben.“ Anne überlegte.
„Falls wir noch Fragen haben, kommen wir auf Sie zu. Sollte Ihnen noch was einfallen oder ungewöhnlich auffallen, rufen Sie uns bitte an.“ Marco gab Albert Rösler die Visitenkarte mit der Telefonnummer des Dezernats.
Inzwischen hatten es einige Neugierige geschafft, sich fast bis zum Gartentor durchzudrängeln. Auch am unteren Gartentor zur Waldseite standen Leute.
„Verbrechen sind eine bessere Unterhaltung als die Hocketse im Festzelt“, bemerkte Marco trocken.
„Die Leichenschau vor Ort muss unbedingt abgebrochen werden“, entschied Anne. „Vernünftiges Arbeiten ist hier nicht mehr möglich. Bis ein Zelt über dem Tatort aufgestellt ist, vergeht mir zu viel Zeit, es sieht nach Gewitter und Regen aus und dann sind alle Spuren verwischt.“
Der inzwischen eingetroffene Bestatter legte den Toten in einen Zinksarg und sollte ihn zur Leichenhalle überführen.
„Okay, wir sind für heute hier fertig, lass uns nun der Tochter die traurige Nachricht überbringen. Marco, fahr mir in die Grazer Straße
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