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Blutkirsche

Blutkirsche

Titel: Blutkirsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Weitbrecht
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eine gelbe Elefantenhaut hervor. Die dicke Lackschicht wurde ehemals als Spritzschutz aufgemalt, und sollte anscheinend eine Ewigkeit halten. Die Wand- und Bodenfliesen in der Küche und dem früheren Labor mussten erneuert werden, dort ein Bad eingerichtet, das Parkett abgeschliffen, eine neue Heizung eingebaut werden. Annes Anteil aus der Verkaufssumme des Hauses, das ihr und Günther einmal gehört hatte, ging fast ganz drauf. Sie bezahlte die Renovierung der unteren Etage und die der Wohnung im ersten Stock, in die sie mit Julian einziehen wollte. Weil es schnell gehen sollte, hatte Anne dort sieben Schichten Tapeten von den Wänden gekratzt, den Stuck repariert, weil irgendwer die sich lösenden Tapeten mit einem Tacker befestigt hatte. Als sie die Tapeten |57| an der Decke herunternahm, kam die Leinölfarbe von 1920 hervor, die sie mühsam mit einer dicken Quaste abwusch, damit der Maler überhaupt neue Farbe auftragen konnte. In zwei Räumen verunstalteten die Decken braune Holzpanelen, der Einrichtungsschick der 70er- und 80er-Jahre. Anne ließ sie herunterreißen, darunter kam der zerstörte Stuck zum Vorschein.
    Die Sparbücher ihrer Mutter waren damals schon fast leer gewesen und nun entwertet, aber die alte Dame hatte es vorgezogen, dies zu vergessen. Anne wusste warum. Beim Entrümpeln fielen ihr die alten Kontoauszüge in die Hände, die Daten und Geldbeträge der Abbuchungen waren mit denen der Überweisungen an ihre Schwester Sieglinde identisch. Ihre Mutter hatte jahrelang nach dem Tod ihres Ehemannes Geld aus den Einnahmen der Miete und der kleinen Pension abgezweigt und an Sieglinde überwiesen. Eigenes Vermögen besaß Magda nicht, sie arbeitete vor ihrer Heirat als Ladengehilfin in dem kleinen Kurzwarengeschäft, das Annes Großmutter gehörte. Zwei Jahre vor Kriegsende kam Annes Schwester Sieglinde zur Welt, sie war siebzehn Jahre älter als Anne. Sieglinde, der Liebling ihrer Mutter wurde verhätschelt, jeder Wunsch wurde ihr erfüllt, im Gegensatz zu ihr. Als Kind spürte Anne fast körperlich die Kälte der Mutter, an Umarmungen erinnerte sie sich nicht. Sie wurde nie geschlagen, bekam genug zu essen, ordentliche Kleidung und die Ausbildung bezahlt, aber Anne merkte, dass etwas nicht stimmte.
    Trotzdem zog Anne zurück ins Elternhaus. Wegen Julian. Er sollte unter der Scheidung nicht leiden, sollte kein Schlüsselkind werden bei ihren unregelmäßigen Arbeitszeiten. Aber auch wegen ihrer Mutter zog sie ein – die alte Dame zeigte Anzeichen von Vergesslichkeit und wurde immer schusseliger. Magda Wieland schien froh zu sein, ihren Enkel versorgen zu können und blühte bei dieser Aufgabe richtig auf.
    Sieglinde lebte in der Nähe von Frankfurt, sie kam nur selten zu Besuch, wenn sie telefonierte, dann nur um zu klagen, wie schlecht es ihr ging. Was für Krankheiten sie hatte, dass sie mal wieder gestürzt war oder um zu schnorren. Ihre Schwester hatte die Schule geschmissen, wurde ins Internat verfrachtet, bis sie kurz nach Annes Geburt wieder zu Hause lebte und eine Lehre als Schneiderin machte.
    „Braucht sie Geld? Für ihren Mann oder den ungeratenen Junior?“, fragte Anne sarkastisch.
    Sieglindes Mann Achim hatte die Arbeit nicht erfunden, immer passte ihm was nicht, er fing Streit an und wurde gefeuert. Jetzt bezog er Rente, die entsprechend mager ausfiel. Der vierzigjährige Sohn war ein ‚Apfel |58| nicht weit vom Stamm‘. Ständig erfand er neue Geschäftsideen, die aber fehlschlugen und erneut Schulden hinterließen. Er wohnte noch zu Hause und genoss das ‚Hotel Mama‘ in vollen Zügen. Es gab noch eine Tochter, die mit einem Mann zusammenlebte und zwei kleine Kinder hatte.
     
    „Wie kommst du denn darauf, dass Sieglinde Geld will? Und wie sprichst du denn mit deiner Mutter? Wen ich unterstütze ist ja wohl meine Angelegenheit“, entrüstete sich ihre Mutter.
    „Aber nicht, wenn du die Pension bei Kaffeefahrten für unnutze überteuerte Rheumadecken, kitschige Lampen oder Fußsprudelbäder ausgibst, oder dir von Vertretern irgendwelche obskuren Vitamindrinks aufschwatzen lässt und mir hinterher vorjammerst, dass dein Geldbeutel leer ist.“
    Im Stillen fügte Anne hinzu: Und ich darf dann alles wieder glattbügeln und bezahlen!
    „Wir brauchen auch Rücklagen, falls eine größere Reparatur am Haus ansteht“, erklärte sie nun laut.
    „Ach, was soll denn kaputtgehen, und außerdem ist Sieglinde wirklich am Ende.“
    „Ach Mama, ich kann jetzt wirklich nicht, ich habe

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