Blutkirsche
sind nicht jeder, sollen wir noch mal mit dem Ausweis wedeln?“, blaffte Marco den Verkäufer an.
„Wir brauchen ihn, um die Unterlagen des Vereins einzusehen. Harry Kohl, ihr Vorsitzender ist heute Morgen ermordet worden. Für unsere Ermittlung müssen wir in die Personalien und Buchführung des Vereins Einsicht haben.“
Annes Stimme nahm einen strengen Ton an. „Also kriegen wir jetzt den Schlüssel? Und wenn wir schon mal dabei sind, wo waren Sie heute Morgen zwischen sechs und zehn Uhr?“
„Wo ich heute Morgen war? Natürlich zu Hause im Bett! Ich bin um Mitternacht heimgekommen und hab’ dann geschlafen. Der Baumarkt macht um neun Uhr auf. Ich bin um halb neun hierher gefahren. Die Aktenordner des Vereins“, hier zögerte Theisen einen Augenblick, „liegen noch in meinem Auto. Ich habe sie gestern mitgenommen, weil ich am Wochenende meine Buchführung aktualisieren wollte. Im Vereinsheim ist gar nichts mehr.“
Der Mann reagiert nervös auf unsere Anfrage, erkundigt sich nicht nach dem Mordopfer, notierte sich Anne in ihrem Palm.
„Wann haben Sie Herrn Kohl das letzte Mal gesehen?“, fragte Marco.
Theisen verzog das Gesicht. „Freitagnacht, wir haben noch was bei ihm in der Laube getrunken – Rösler und ich – und sind beide kurz vor Mitternacht gegangen.“
„Aha, alles klar. Dann übergeben Sie uns mal die Akten, mein Assistent wird Ihnen eine Quittung ausstellen“, befahl Anne.
Der Hummer stand auf dem Mitarbeiterparkplatz. Marco staunte. Wie konnte sich der Theisen den von seinem Gehalt als Verkäufer in einem Baumarkt leisten? Arnold Schwarzenegger fuhr so ein Riesenteil, aber der war schließlich Gouverneur von Kalifornien!
„Wie viel Liter braucht Ihr Auto denn?“, fragte er mit unschuldiger Miene den Mann, der eine Umzugskiste mit mehreren Ordnern aus dem Wagen holte.
„Na, so dreißig Liter.“
„Die Steuer und Versicherung sind doch bestimmt nicht ganz billig“, forschte Marco weiter.
„Nein, das nicht, aber warum interessiert Sie das?“
|53| „Ach, nur so!“, antwortete Marco scheinheilig und sah zu Anne hin. In ihren Augen konnte er erkennen, dass sie genau das Gleiche dachte wie er.
„Also, wir haben ja jetzt, was wir wollten, vielen Dank, Herr Theisen. Ach übrigens, kann jemand bestätigen, dass Sie bis heute Morgen bis um acht Uhr dreißig zu Hause waren?“
„Ja, sicher, meine Frau.“ Ullrich Theisen sah irritiert von einem Polizisten zum anderen.
„Okay, wir werden das überprüfen. Vielen Dank für die Akten, Marco trag’ sie schon mal zu meinem Auto. Sie bekommen alles nach Abschluss der Untersuchung zurück. Für heute, auf Wiedersehen.“
Als Ullrich Theisen zurück in den Baumarkt ging, sah er von hinten aus, als ob er einen schweren Sack auf dem Rücken trüge.
„Chefin, da ist was faul“, stellte Marco fest.
Anne nickte: „Oberfaul.“ Sie zog ihren Blazer aus und legte ihn auf die Rückbank des Peugeots.
Der Himmel hatte sich inzwischen vollkommen in ein tiefes Schwarz verfärbt. Anne zählte die Sekunden zwischen Einschlag und Donner.
„Gleich geht das Gewitter über uns los, auf zum Präsidium, Marco, oder willst du auf deinem Motorrad vom Blitz erschlagen werden?“, fragte Anne, während sie eilig die Umzugskiste im Kofferraum verstaute.
„Nein, das fehlt gerade noch. Ist kein Motorradwetter, gestern Gewitter, heute schon wieder“, fluchte Marco und brauste davon.
Nach der Untersuchung des Tatorts, dem Besuch in der Grazer Straße und dem Baumarkt erreichten Anne und Marco das Polizeipräsidium gerade noch rechtzeitig, bevor der kräftige Gewitterschauer niederging und es spürbar kühler wurde.
Die Kantine war zu. Anne ließ aus dem Automaten einen Müsliriegel und Mineralwasser heraus. Die langen Flure rochen nach Reinigungsmittel und Aktenstaub. Die Zimmertür des Dezernatsleiters lehnte an, er unterhielt sich mit jemandem und schloss die Tür, als Anne vorbeiging. Ein Schutzpolizist führte einen Jugendlichen in Handschellen ab, grüßte Anne und verschwand mit dem Verhafteten im Aufzug. Irgendwer hatte im Klo geraucht, der Qualm war bis in ihr Dezernatszimmer hineingekrochen. Ihr Büro versprühte mit seinem grauen Bodenbelag den Charme eines Zimmers im Finanzamt und hätte jedes x-beliebige Büro sein können. Wäre da nicht an der einen Wand eine Uhr mit großen Ziffern, der |54| übergroße Stadtplan von Stuttgart, an der anderen ein Whiteboard und eine Pinnwand zu sehen gewesen. In der Mitte des Raumes stand
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