Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutkirsche

Blutkirsche

Titel: Blutkirsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Weitbrecht
Vom Netzwerk:
keine Zeit! Ich muss einen Mörder finden! Lass uns zu Hause darüber sprechen, ich bin so um ...“, Anne schaute auf die große Uhr an der Wand, „ich bin um zweiundzwanzig Uhr daheim.“
    „Ich habe dir gleich gesagt, du sollst nach dem Jurastudium nicht zur Polizei gehen, dann hättest du vernünftige Arbeitszeiten!“, klagte Magda Wieland.
    „Ja, Mama“, antwortete Anne genervt, diesen Ratschlag hatte sie schon zur Genüge gehört.
    „Hör zu Mama, soviel ich mich erinnern kann, sind deine Sparbücher im Dielenschrank. Damit du endlich Ruhe gibst, such’ ich sie, sobald ich nach Hause komme. Falls du noch nicht schläfst, schau’ ich bei dir vorbei.“
    „Versprochen?“
    „Ja, versprochen.“
    An der Stimme ihrer Mutter konnte Anne förmlich hören, dass diese annahm, nun würde sie ihrer Schwester Geld schicken. Einen Teufel würde sie. Die Meinung würde sie Sieglinde sagen, das war schon längst fällig.
    |59| Anne stellte ihren Peugeot vor dem Haus auf der Straße ab. Wenn sie in die Garage fuhr, würde ihre Mutter vielleicht aufwachen. Anne hatte keine Lust, sich auf Diskussionen einzulassen.
    An den Peugeot – mittlerweile ihr viertes Auto dieser Marke – war sie gewöhnt. Sie zog ihn dem Dienstwagen vor, wann immer es möglich war. Auch wenn sie dafür die Ausrüstung für die Einsätze immer im Kofferraum lassen und den Benzinverbrauch abrechnen musste.
    Im oberen Stockwerk des gemeinsamen Hauses brannte kein Licht, aber im unteren Wohnzimmer konnte sie den schwachen Schein einer Lampe entdecken. Also schlief ihr Mutter wahrscheinlich noch nicht.
    Das Haus stand am Rande eines Mischgebietes, sowohl kleine Fabriken, Handwerkerbetriebe als auch Wohnhäuser und Bürogebäude gab es in der Nähe. Schräg gegenüber arbeitete eine Druckerei. Das Feuerbacher Polizeirevier, seit einigen Jahren in einer ehemaligen Maultaschenfabrik untergebracht, befand sich um die Ecke, wie auch die kleine Werkstatt eines Schreiners. Der Stadtkern lag nicht weit entfernt, besonders um schnell zu Fuß einkaufen zu gehen, war die Lage optimal. Die Stadtbahnen in die Innenstadt und nach Möhringen, nach Cannstatt und Gerlingen, hielten am Wilhelm-Geiger-Platz. Anne fuhr mit dem Auto, sie kaufte die Lebensmittel auf Vorrat.
    Ein weißer Holzzaun und die dichte Buchsbaumhecke umgab das Gebäude, das aus den Zwanzigerjahren des vorherigen Jahrhunderts stammte. Ihre Eltern hatten das Haus ein Jahr vor Kriegsende günstig kaufen können und waren mit dem ersten Kind hier eingezogen, da die einstige Junggesellenwohnung ihres Vaters im Westen in der Reinsburgstraße schon 1943 den Bomben zum Opfer fiel.
    Der Bau, mit seinen übergroßen Sprossenfenstern, den türkis gestrichenen Fensterläden und den Erkern, sah wie ein Mittelding zwischen französischem Landhaus und deutscher Villa aus. Es gab kein vergleichbares Gebäude im ganzen Wohnviertel. Vielleicht hatten ihre Eltern es deswegen gekauft, obwohl es wegen der Nähe zum Industriegebiet und der Firma Bosch im Krieg hier Fliegeralarm und Bombenangriffe gegeben hatte. Die tiefen Kellerräume mit dem gestampften Lehmboden verriegelte noch immer eine dickwandige eiserne Feuerschutztür.
    Der erste Stock des Hauses, nach vorne zur Straße und auf der Rückseite zum Garten hin, trug Balkone mit schmiedeeisernen Verzierungen. Auch das Guckloch in der hölzernen Haustür und die dreieckigen Dachfenster schmückten sich damit. An der hinteren Grundstücksgrenze befand sich eine Lagerhalle, die ehemals einem deutschen Handwerker |60| und jetzt den türkischen Nachbarn gehörte. Auf der linken Seite stand ein Flachbau, der zu einer Koranschule umfunktioniert worden war. Anne konnte von ihrem Balkon aus jeden Sonntagmorgen kleine Mädchen hineingehen sehen. Sie waren in Kopftücher und lange Mäntel verhüllt. Die Jungen trugen westliche Kleidung und tobten, wenn sie kein Erwachsener beaufsichtigte, mit den Mädchen. Später hörte Anne das monotone Rezitieren der Koransuren.
     
    Anne legte ihre Schlüssel und die Handtasche auf dem Telefontisch im Flur ab.
    „Mama“, rief sie leise und betrat das Wohnzimmer. Ihre Mutter saß schlafend vor dem Fernseher auf dem Sofa, die Fernbedienung auf ihrem Schoß drohte jeden Moment herunterzufallen. Ihre Brille, die sie nur ungern trug, da sie trotz ihres Alters sehr eitel war, lag neben ihr auf dem Beistelltisch. Auf dem Couchtisch standen ein Sherryglas und eine halbleere Glaskaraffe, in dem der Dessertwein wie Gold schimmert. Magda

Weitere Kostenlose Bücher