Blutkirsche
Haus gewesen“, erklärte Anne, als sie den Aufzug bestiegen und nach oben fuhren. Der Fahrstuhl endete genau vor der Wohnungstür, die von innen von Günther Wöhrhaus geöffnet wurde. Ihm gehörte die ganze obere Etage.
Nicht mehr ganz nüchtern und das schon am frühen Nachmittag, dachte Anne, als sie ihren Ex-Mann betrachtete. Günther besaß einen kräftigen muskulösen Körperbau, was er auf seine Zeit beim Bau zurückführte. Mit seinem extrem kurzgeschnittenen weizenblonden Haar ähnelte er dem Hollywood-Schauspieler Kurt Russel, dessen Kinnmuskeln immer so arbeiteten, als ob er laufend eine Bombe entschärfte.
Günthers Gesicht war stark gerötet, als ob er wieder den ganzen Tag bei harter Arbeit in der Sonne verbracht hätte. Als sie noch verheiratet waren, hatte ihr Ex tagsüber nie getrunken, sich höchstens abends vor dem Kamin einen Whisky genehmigt. Er muss Probleme haben, folgerte Anne.
„Tag, Günther, wir müssen mit dir sprechen.“
„Anne du? Was ist los? Brauchst du jetzt Verstärkung, wenn du mich sehen willst?“ Günther deutete auf Marco, der sich mit großen Augen umschaute. Anne erkannte, was diese Verwunderung auslöste. Der hohe lichte großzügige Wohnbereich ohne Trennwände, nur durch Stützpfeiler |98| strukturiert, verfügte nicht nur über einen Kamin, eine gemauerte Treppe führte zudem auf die Dachterrasse. Weiße und schwarze Designermöbel, dazwischen vereinzelt Antiquitäten aus dem neunzehnten Jahrhundert rundeten den Eindruck ab. Eine Wand des Lofts nahm ein riesiger Plasmabildschirm ein, davor stand eine Bankreihe alter Kinostühle mit roten Ledersitzen.
Marco hatte sich abgesetzt und spickte in Küche und in das Bad hinein. Schwarz-weiße Fliesen, Hightech, überall wohin er schaute. Wohnen auf höchstem Niveau. Geradezu popelig kam ihm da seine 72-qm-Dreizimmer-Wohnung in Untertürkheim vor. Allein in diese Hochglanz-Küche hätte fast seine ganze Wohnung hineingepasst. Dazu kam noch, dass Günther Wöhrhaus’ Outfit modisch und teuer aussah, ganz im Gegensatz zu seinem, den No-Name-Jeans und der preiswerten Lederjacke aus einem Second-Hand-Laden. Marco ärgerte sich und mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er diesen Lebensstandard nie mit seiner A9-Dotierung erreichen konnte.
Anne winkte Marco herbei.
„Günther, kennst du einen Harry Kohl?“
„Harry wer?“ Günther Wöhrhaus riss erstaunt seine Augen auf und zog die Schultern hoch.
„Wir haben die Verbindungsnachweise gecheckt und wissen, dass du am Samstag, den 9. vormittags das letzte Mal mit ihm telefoniert hast. Und vor diesem Samstag in den letzten Wochen mehrfach!“
Günther sah jetzt aus, als ob er mit der Hand in der Keksdose überrascht worden sei.
„Ach so,
der
Harry Kohl! Ich hab’ da ein paar Geschäfte ...“
„Wie viele Harry Kohle kennen Sie denn?“, unterbrach Marco den Baulöwen, ärgerlich und ungeduldig darüber, dass der Mann – auch wenn es der Ex-Ehemann seiner Chefin war – versuchte, sie zu verarschen. Ihm fiel der symbolbehaftete Ausdruck ,Kohle‘ ein.
„Also, wie sind deine Verbindungen mit Herrn Kohl?“, fragte Anne.
„Moment mal, du bist doch bei der Kripo, was gehen dich meine Geschäfte an?“ Günther Wöhrhaus reagierte sichtlich ärgerlich.
„Ja, genau von der Kripo! Wir sind hier, weil Harry Kohl am frühen Samstagvormittag ermordet wurde.“
Das Rot in Günthers Gesicht wich einem Weiß.
Annes Handy klingelte. „Augenblick“, sagte sie und nahm den Anruf entgegen. „Mhm, ja, dem werden wir nachgehen.“
Als sie das Handy ausschaltete, wandte sie sich wieder Günther zu.
|99| „Gerade habe ich ein Telefonat bekommen, dass du, beziehungsweise dein Mercedes, am Samstagmorgen noch vor acht Uhr im Schrebergartengebiet gesehen wurde. Was sagst du dazu?“
„Ähm, ich gebe zu, dass ich mit Kohl Geschäfte machte und ihn aufgesucht habe, weil ich ihm etwas bereden wollte. Aber ermordet habe ich ihn nicht. Anne, schau mir in die Augen.“
Es fehlte nur das ‚Kleines‘, spottete Anne im Geheimen. Günther übte sich schon immer gern in Filmzitaten.
„Anne, du weißt, dass ich dazu nicht fähig bin. Warum sollte ich so etwas tun?“
„Könnte es sein, dass Sie sauer auf ihn waren?“, intervenierte Marco.
Günther Wöhrhaus hatte seine Fassung wiedergefunden. „Natürlich war ich sauer, aber doch nicht so, dass ich jemanden umbringe. Da gibt es ganze andere Methoden, um einen zur Vernunft zu bringen.“
„Wie denn?“, fragte Marco
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