Blutkirsche
Aufgabe auch darin, die Volksgesundheit zu verbessern. Das arische Blut müsse rein bleiben und dürfe nicht mit dem Blut von Untermenschen vermischt werden. Sie hätten kein Recht sich fortzupflanzen. Die Grundrechte des Einzelnen müssen vor den Grundrechten des Volkes zurückstehen.‘
Magda konnte die rassistischen Rechtfertigungen ihres Mannes nicht vergessen. Sie waren in ihrem Gedächtnis eingebrannt.
Wenn auch Hans nicht direkt die Tötungsspritzen setzte oder das Gas in die Baracke strömen ließ, so hatte er als Schreibtischtäter Mitschuld an den Gräueltaten.
Magda hätte es wissen müssen, sie hätte ihrem inneren Gefühl nachgeben und nicht ihrem Vater gehorchen sollen, als dieser sie drängte, den gut situierten, angesehenen Parteigenossen zu heiraten. Mit Hans Wieland als Mann hätte sie ausgesorgt, schließlich sei dieser Beamter und würde niemals arbeitslos werden. Magda verstand die Angst ihres Vaters. Er hatte es in den Zwanzigerjahren erlebt. Hunger und Obdachlosigkeit schilderte er ihr immer wieder in den düstersten Farben. So fügte sie sich ihren Eltern, weil sie für Sieglinde eine bessere Zukunft erhoffte, als sie ihr geben konnte.
Dabei hatte sie Hans noch nicht einmal gemocht, seine wasserblauen Augen, in denen sich seine Kälte spiegelte, der harte Mund, wie von Geld gewaschen, sein aufbrausendes Wesen, die hastigen sexuellen Akte, in denen er sich nicht hingab, sondern sie spüren ließ, dass sie nur ein Werkzeug war.
Hans wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Kurz nach dem Prozess wollte Magda den Ehemann und das Haus verlassen und hatte es |94| sich dann doch überlegt. Ihre Eltern wohnten nun bei ihr, sie waren krank. Ihr kleines Geschäft gab es nicht mehr. Magda musste vier Mäuler versorgen. Was in fünf Jahren geschehen würde, wusste sie nicht. Erst einmal abwarten, dann konnte sie es sich immer noch überlegen.
Zumindest besaß sie ein Dach über dem Kopf – in den Jahren nach dem Krieg nicht immer selbstverständlich.
Mittlerweile beschlagnahmte das Bürgermeisteramt Wohnraum, eine Familie aus Ostpreußen wurde einquartiert. Frau Schmidt mit ihren vier Kindern bevölkerte die restlichen Zimmer, die Küche und das Bad. Magda fügte sich, obwohl Frau Schmidt sich als hinterhältige, diebische Person entpuppte, die Magdas Schränke durchwühlte und frech ihr Vergehen verteidigte: „Sie müssen überhaupt froh sein, dass man Sie nicht verhaftet hat.“
Als Sieglinde in die Volksschule ging, zog die Familie Schmidt aus, weil inzwischen Herr Schmidt aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt war und der Lastenausgleich ihnen half, ein Siedlungshaus zu bauen. Hans wurde aus der Haft entlassen, und die Menschen vergaßen seine Verbrechen. Viele wollten einfach nichts mehr davon wissen. Wollten sich vielleicht nicht ihre Schuld des Wegsehens, des Weghörens eingestehen. Deutschland wurde wieder aufgebaut.
Die Nachbarn grüßten, die Patienten kamen, denn Hans ließ sich als Allgemeinarzt nieder, und Magda assistierte in der ersten Zeit. Sie hieß nun ‚Frau Doktor‘.
Den Schritt, ihren Mann zu verlassen, konnte sie nicht vollziehen. Wohin hätte sie gehen sollen? Ihre Eltern waren inzwischen verstorben, andere Verwandte oder Frauenhäuser, in die sich heute Frauen flüchten konnten, gab es nicht. Feige bin ich gewesen, dachte Magda.
Sie musste sich überwinden, von Hans angefasst zu werden. Den Tatbestand Vergewaltigung in der Ehe gab es damals noch nicht, aber es hätte nichts geändert. Sie wurde schwanger.
Sie hatte dieses Ungeborene gehasst, sie verband alles Schlechte von Hans damit und wollte es loswerden.
Irgendwo auf dem Dachboden befanden sich die Unterlagen über den Prozess. Magda dachte daran, dass sie dort ihr Tagebuch versteckt hatte. Aus den Augen waren sie, aber nun nicht mehr aus dem Sinn. Sieglinde und Anne sollten nie etwas erfahren.
Aber vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, über Vergangenes zu reden.
|95| Als das Telefon klingelte, hatte sie ihren Vorsatz vergessen, auf den Speicher zu gehen.
Es war inzwischen Mittag geworden. Anne stellte ihr Auto in der Nähe des Alten Friedhofs in Feuerbach ab. Der Friedhof wurde schon lange nicht mehr als solcher genutzt. Er diente jetzt als Park. Eine dicke Mauer aus Natursteinen und alte Kastanien grenzten ihn zur Linzer und Burgenlandstraße ab. Anne konnte im Vorbeilaufen in der Nähe des Eingangs auf einer Bank drei Männer entdecken, die sich lauthals beschimpften, neben sich
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