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Blutkirsche

Blutkirsche

Titel: Blutkirsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Weitbrecht
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auch so!“, entgegnete Marco. „Und jetzt erzählen Sie mir das mit ‚dem davon leben‘.“
    Am Wilhelm-Geiger-Platz, vor dem Bezirksrathaus, plätscherte Wasser in einen runden Brunnen. Auf seinem filigran gearbeiteten schmiedeeisernen Dach saß das Wappentier von Feuerbach, ein Biber. Der Platz war mit bunten Blumenrabatten und einem Maibaum geschmückt. Das Grün schmeichelte ihm, zumal alle großen Koniferen in der Stadtbahnhaltestelle gefällt werden mussten, da sie von innenher faulten.
    Als Anne am Rathaus vorbeifuhr, dachte sie über die Vernehmung von Lorenz Tressel nach.
     
    Konnte sie seiner Aussage Glauben schenken? Falls der Todeszeitpunkt stimmte, und davon ging sie aus, konnte Tressel Harry Kohl nicht am Freitag ermordet haben. Außerdem lebte Kohl ja noch um Mitternacht – falls die Angaben von Rösler und Theisen der Wahrheit entsprachen.
    Tressel schien froh gewesen zu sein, dass Kohl tot war. Er hatte ein Motiv, ihn zu ermorden, und zusätzlich fehlte der Nachweis über ein Alibi am Samstagmorgen.
    Auf alle Fälle musste sie die Polizeiakten aus dem Rheinland kommen lassen, vielleicht stimmt ja die Vermutung Tressels, das Harry Kohl |133| etwas mit dem Verschwinden seiner Tochter zu tun gehabt hatte. Allerdings wäre das dann ein wahnsinniger Zufall, und an Zufälle glaubte Anne nicht. Eher an ein Schicksal, das aber keinen göttlichen oder kosmischen Ursprung hatte, sondern zum Teil aus Interaktion und dem Handeln jedes Einzelnen entstand.
     
    Als Anne und Marco vor dem Haus in der Grazer Straße ankamen, schloss gerade eine in Schwarz gekleidete Frau mittleren Alters das Doppeltor der metallenen Haustür zu.
    Ihr hennarotes Haar bildete einen starken Kontrast zu ihrem Outfit. „Sie sind doch von der Polizei?“, fragte sie freundlich. „Bei Kohls ist niemand zu Hause. Auch sonst niemand. Außerdem ist seit heute die Hausbesitzerin im Altersheim. Ich schließe jetzt ab.“
    „Ach so“, sagte Anne und erkundigte sich: „Wissen Sie, wo die Tochter von Herrn Kohl ist?“
    „Die Natalie? Die ist gestern Morgen mit dem Rad verunglückt, von einem Auto angefahren worden. Die Tante kam dann vorbei und hat Wäsche fürs Krankenhaus geholt.
    „Und woher wissen Sie das so genau?“
    „Ich bin ihr auf der Treppe begegnet. Und wenn ich jemand Fremdes im Haus sehe, erkundige ich mich. Könnte ja ein Einbrecher sein!“, erklärte die Frau. „Ich habe schon mal einen Dieb in die Flucht geschlagen.“
    „Ganz schön mutig“, sagte Marco. „Kann aber auch mal schiefgehen.“
    „Steht doch auf jeder Straßenbahn, dass man Zivilcourage zeigen soll. Ich muss jetzt ...“, die Frau beendete ihren Satz nicht, spannte ihren Regenschirm auf und eilte in Richtung Wilhelm-Geiger-Platz.
    Anne telefonierte mit der Leitstelle für den Notfalleinsatz. Tatsächlich hatte Natalie Kohl gestern einen Unfall und war ins Katharinenhospital eingeliefert worden. Nach dem ersten Unfallbericht der Sankas trug das Mädchen keinen Fahrradhelm und erlitt ein Gehirntrauma sowie einen Beckenbruch.
    „Wir müssen Natalie aber trotzdem vernehmen“, erklärte Anne.
    „Sehe ich auch so“, sagte Marco.
     
    Das Katharinenhospital in der Kriegsbergstraße stand zwischen Hauptbahnhof und Hegelplatz in unmittelbarer Nähe des Lindenmuseums. An der Vorderfront des Völkerkundemuseums hing ein übergroßes weißes |134| Plakat mit der Ankündigung: ‚Schamanen Sibiriens: Magier – Mittler – Heiler‘.
    „Das wollte ich eigentlich mit Melanie anschauen.“ Marco seufzte und zeigte auf das Plakat, als sie am Museum vorbeifuhren. Der Stoff schaukelte im Wind und Regen kräftig hin und her, und die Pfosten klickten wie Bootsmasten.
    „Und? Wie sieht es aus, wann wird sie entlassen?“, fragte Anne.
    „Vielleicht nächste Woche. Im Augenblick geht es ihr gut, aber ich weiß nicht, wie sie erneut auf den Stress mit dem Baby reagiert“, antworte Marco. „Stillen kann sie jetzt auch nicht mehr, wegen der Medikamente.“
    „Schade“, murmelte Anne, während sie neben einem Einrichtungshaus für exklusive Möbel in eine Parklücke fuhr. Sie legte das Schild ‚Polizei‘ sichtbar hinter die Frontscheibe, da die Parkuhren nur auf eine Stunde limitiert waren. Es gab zwar eine Tiefgarage, aber Anne parkte lieber auf der Straße. In den meisten unterirdischen Garagen fehlte eine ausreichende Belüftung und die Beleuchtung ließ zu wünschen übrig. Bei den seltenen Gelegenheiten, wo Anne Stadtbahn fuhr, bedauerte sie immer

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