Blutkirsche
geschlafen, weil ich Freitag bis um Mitternacht geschrieben habe. Dann war ich einkaufen, habe anschließend meinen Haushalt gemacht und bin erst sonntags zum Schrebergarten gefahren. Zeugen habe ich keine dafür, ich bin Witwe. Besuch hatte ich auch keinen, mein Sohn ist im Ausland, hat nur eine Mail zum Muttertag geschickt. Beantwortet das jetzt Ihre Fragen?“
Neugierig geworden, warf Anne noch einmal einen Blick auf den Bildschirm. Dann fiel es ihr ein. Frau Möhrle war die Verfasserin von Ess-Geschichten aus dem Schwabenland. Im Bücherregal von Magda Wieland standen zwei Bände der Autorin. Anne konnte sich an einen Titel erinnern: ‚Vom Herrgottsbescheißerle und anderen Speisen‘. Einige Passagen darin waren auf Schwäbisch geschrieben, deshalb erstaunte es Anne, dass Frau Möhrle sich in einem einwandfreien Hochdeutsch unterhielt.
„Können Sie davon leben?“, fragte Anne. Sie warf ihren Kopf in Richtung Computer.
|131| Wieder lachte Frau Möhrle schallend. „Nein, das nicht wirklich. Für eine Reise, neue Kleidung oder die Kosmetikerin reicht es. Mit der kleinen Rente meines Mannes – er war Mechaniker bei Daimler – käme ich nicht über die Runden. Als mein Karl noch lebte, haben wir unser Gemüse selbst im Schrebergarten angebaut, das half die Haushaltskasse aufzubessern, zumal unser Sohn studieren wollte. Heute lohnt sich der Aufwand für mich alleine nicht mehr, ich baue kaum noch etwas an. Inzwischen habe ich die Parzelle nur noch aus nostalgischen Gründen. Früher gab es in Feuerbach viel mehr Industrie. Bevor die Firma Schoch und die Gießerei von Bosch geschlossen wurden, haben die viel Dreck herausgeblasen, die Fensterbänke waren voll von schwarzen schmierigen Ablagerungen. Deshalb schien es uns wichtig, mit unserem kleinen Jungen in saubere Luft rauszukommen.“
Anne nickte bestätigend. Über die verrußten Fensterbänke hatte ihre Mutter auch geklagt.
„Hatten Sie Streit mit dem Ermordeten, Herrn Kohl?“, fragte Marco, der das ‚dem davon leben‘ nicht verstanden hatte.
„Streit? Nicht wirklich! Er hat mich verdächtigt, den Inhalt meines Klos in den Wald entleert zu haben, was ich aber nicht getan habe. Ich bin umweltbewusst und benutze keine Chemie, kann also den Inhalt als Dünger verwenden. Ich ließ ihn reden, es war sinnlos, sich mit Herrn Kohl zu streiten, er wurde gern ausfällig. Ich dachte, ich hätte Herrn Tressel, den Nachbarn aus Nummer 12 bemerkt, wie er in den Garten Nummer 13 ging, bin mir aber nicht sicher. Dieser Kohl ließ nicht locker und ging mir entsetzlich auf die Nerven.“
„Und das war am Freitagabend?“, hakte Marco nach.
„Ja, das war am Freitag, aber wie gesagt, ich bin dann bis Sonntag nicht mehr in der Gartenanlage gewesen.“
„Wer hatte sonst noch Streit mit Herrn Kohl?“
„Wer nicht? Ein unangenehmer Zeitgenosse. Aber ich habe versucht, mich aus allem rausgehalten, nun ja, ab und zu hat meine Neugier gesiegt.“
„Kennen Sie die Tochter von Herrn Kohl?“, fragte Anne.
„Seine Stieftochter, armes Ding. Und ich meine nicht damit, dass sie jetzt Vollwaise ist!“ Frau Möhrle schwieg bedeutungsvoll.
„Warum das denn?“
„Nun ja, wie soll ich es sagen, es ist nur eine Beobachtung, ich hatte den Eindruck, dass Natalie schreckliche Angst vor ihrem Stiefvater hatte. Wenn er in ihrer Nähe war, wich sie aus, trat immer ein paar Schritte |132| zurück. Geredet hat sie nicht viel. Ist nach dem Tod der Mutter immer dünner geworden. Vielleicht so was wie Magersucht? Gesehen habe ich Natalie schon lange nicht mehr.“ Frau Möhrle stockte einen Moment. „Aber warten Sie mal, jetzt fällt es mir wieder ein: Am Samstagmorgen auf dem Nachhauseweg vom Einkaufen, ich bin zu Fuß gegangen und wollte ausnahmsweise die Wiener Straße runterlaufen, da bin ich auf dem Zebrastreifen am Wilhelm-Geiger-Platz fast von Natalie mit dem Rad angefahren worden.“
„Sie haben die Stieftochter von Herrn Kohl am Samstagmorgen in Feuerbach mit dem Rad unterwegs gesehen? Um wie viel Uhr war das denn?“, fragte Anne verdutzt und schaute zu Marco hinüber, der eifrig mitschrieb.
„Ich denke, so kurz nach acht Uhr. Ich kam vom Markt, genau weiß ich es aber nicht.“
„Vielen Dank, falls Ihnen noch was ...“
„Falls mir sonst noch was einfällt, melde ich mich“, unterbrach Frau Möhrle den Assistenten.
Wieder auf der Straße sagte Anne: „Mit dieser Natalie Kohl müssen wir noch mal sprechen. Außerdem noch mal mit Tressel!
„Das sehe ich
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