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Blutkirsche

Blutkirsche

Titel: Blutkirsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Weitbrecht
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wieder, dass der Mensch zunehmend unter die Erde verbannt wurde. Falls der Stuttgarter Bahnhof unterirdisch verlegt wurde, hatte Anne sich vorgenommen, nicht mehr den Intercity zu nehmen. Es sah tatsächlich so aus, dass das Bauvorhaben verwirklicht wurde, da die Politiker dieses Projekt in unglaublicher Eile vorantrieben. Obwohl die meisten von ihnen bestimmt nie Bahn fuhren, sondern das Flugzeug oder ihr Auto mitsamt Chauffeur benutzten.
    Noch gut konnte sie sich an die gemütlichen Fahrten mit der Straßenbahn erinnern, als diese oberirdisch entlang der Königstraße ruckelte, auch dass sie einmal als kleines Kind die Weinsteige nach Degerloch hochfuhr und damals zum ersten Mal Stuttgart von oben gesehen hatte, während ihre Mutter die Sehenswürdigkeiten erklärte. Auch an ihre Gedanken konnte sie sich erinnern. Daran, dass alles so friedlich aussah.
     
    Im Krankenhaus roch es ähnlich wie im Polizeipräsidium.
    Natalie Kohl lag auf der Intensivstation.
    „Sie können die Patientin nicht verhören, sie ist nicht ansprechbar.“
    „Wie schwer sind denn ihre Verletzungen? Können Sie uns einen Zeitpunkt sagen, an dem die Vernehmung möglich ist?“, wollte Anne vom Stationsarzt, Doktor Männle erfahren, den die Oberschwester herbeigerufen hatte.
    |135| „Weshalb ist es denn so dringend?“, fragte der Arzt erstaunt.
    „Sie ist Zeugin in einem Mordfall. Es gibt da Unklarheiten, weiter kann ich Ihnen nichts sagen.“
    „Die Patientin erlitt einen schweren Unfall. Über den Befund darf ich wegen der ärztlichen Schweigepflicht keine Auskunft geben“, erklärte der Mediziner. „Aber ich verrate Ihnen damit kein Geheimnis, dass sie sehr viel Blut verloren hat und ins Koma gefallen ist. Sie entschuldigen, ich habe fast eine Zwölf-Stunden-Schicht hinter mir und muss mich vor Dienstschluss noch um Patienten kümmern.“
    „Ja, vielen Dank für Ihre Zeit.“ Anne schüttelte Doktor Männle die Hand, und dieser eilte weiter.
    „Ich glaube, das ist im Augenblick eine Sackgasse“, seufzte Anne zu Marco hin. „Wir müssen das Verhör verschieben.“
    Sie sah durch die Glasscheibe. Natalies Augen waren geschlossen, sie atmete durch einen Schlauch. Auf der linken Seite stand ein Infusionsgerät, an dem eine Blutkonserve hing, deren Inhalt stetig in die Vene tröpfelte. Ein weiteres Infusionsgerät auf der rechten Seite war nicht angeschlossen, aber es hingen Beutel mit klaren Flüssigkeiten daran. Am Kopfende des Bettes piepsten und blinkten Apparaturen.
    „Armes Ding“, meinte Anne, gerade als eine pummelige, ältere Intensivschwester die Tür zum Krankenzimmer öffnen wollte.
    „Sind Sie von der Polizei?“, erkundigte sie sich.
    „Ja, warum?“
    „Ich weiß, eigentlich sollte ich das nicht erzählen, ich könnte meinen Job verlieren, aber ich finde, Sie sollten das wissen ...“
    Anne riss ihre Augen auf. „Was wissen?“, fragte sie.
    „Wir mussten bei dem jungen Mädchen das Becken röntgen und wegen der starken Blutung eine gynäkologische Untersuchung vornehmen lassen. Die hat ergeben, dass die Patientin schon mal geboren hat. Es muss Jahre her sein. In der spärlichen Anamnese, die uns ihre Tante erzählen konnte, steht nichts davon drin. Und wenn man das Alter der Patientin bedenkt, ist doch da etwas nicht in Ordnung!“, entrüstete sich die Krankenschwester. „Bitte verraten Sie nicht, woher Sie das haben!“, fügte sie jetzt hinzu und blickte sich ängstlich um.
    Anne sah Marco völlig perplex an.
    „Vielen Dank, wir werden dem nachgehen. Vielleicht kann uns die Tante ja Auskunft geben. Wo ist denn die Angehörige jetzt?“
    |136| „Sie kommt erst morgen wieder, weil sie in Mannheim wohnt und uns sagte, sie müsse die Beerdigung ihres Bruders in die Wege leiten“, erklärte die Intensivschwester.
    Anne nickte, die Leiche war zur Bestattung freigegeben. Die Schwester des Toten hatte Harry Kohl identifiziert. Aber diese Schwester mussten sie verhören. Vielleicht wusste sie über Natalies Schwangerschaft Bescheid, und der Befund des Frauenarztes ergab einen Sinn. Auf alle Fälle sollten sie dem nachgehen. Zumal die Schwester zu den potenziellen Verdächtigen gehörte und sowieso zur Vernehmung hätte vorgeladen werden müssen.
    Aus einer plötzlichen Eingebung heraus sagte Anne: „Sollte jemand anderes als die Tante Natalie besuchen wollen, informieren Sie uns bitte sofort! Und falls die Patientin aufwacht ebenso!“ Anne las das Namensschild an der Brusttasche. „Vielen Dank, Schwester

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